Der Sixtinische Himmel
Michelangelo gab es noch jemanden, der es vorzog, an den Feierlichkeiten nicht teilzunehmen: Papst Julius. Der Mann, der in sich selbst den zweiten Julius Caesar erblickte, verfolgte das Schauspiel vom Eckzimmers seines Palastes aus. Dabei hätte er allen Grund gehabt, sich feiern zu lassen, den Sieg gegen Venedig auszukosten, der ihm die Herrschaft über Faenza, Rimini und Ravenna zurückgewinnen würde. Stattdessen war er besorgt. Mehr als das: Er war gefangen in seiner eigenen Angst. Ein absolut nicht zu tolerierender Zustand für jemanden, der Angst nur Schwächlingen und Tieren zugestand, und selbst das nur widerwillig.
Vom ersten Tag an hatte Julius der Liga von Cambrai mit äußerstem Argwohn gegenübergestanden. Sein eigener Beitritt war aus der Not geboren. Ein Bündnis zwischen Ludwig und Maximilian konnte mittelbar nur eine Bedrohung zur Folge haben. Man hätte ein grullo , ein Schafskopf, sein müssen, um der Sache zu trauen. Bereits die Idee zur Bildung der Liga war eine Täuschung gewesen. Offiziell hatte sich das Bündnis zum Ziel gesetzt, gemeinsam einen Feldzug gegen die Türken zu unternehmen. Das wahre Ziel jedoch war ein anderes: Venedig. Seit Jahren fraß sich die Republik wie eine hungrige Raupe durch Oberitalien. Erst im März und April hatte sie sich unter Führung ihres Condottiere d’Alviano die Städte Triest und Fiume einverleibt. Julius hatte sogar das Interdikt über die Stadt verhängt und so die Republik formal aus der christlichen Gemeinschaft ausgeschlossen. Die Venezianer jedoch hatten sich unbeeindruckt gezeigt. Höchste Zeit also, ihre Macht zu brechen.
Als es schließlich zur Schlacht kam, fiel d’Alviano seinem venezianischen Hochmut zum Opfer. Zwei Angriffe des zahlenmäßig überlegenen Heeres der Liga von Cambrai konnten seine Artillerie und die Fußsoldaten zurückschlagen. Dann allerdings missachtete er alle Befehle und zog sich weder zurück, noch wartete er die Verstärkung ab, sondern setzte den Franzosen bis in die Ebene nach, wo sein Heer von vierzehntausend Reitern empfangen wurde, denen es nichts entgegenzusetzen hatte.
Ein großer Sieg. Das Problem war: Das Heer der Liga von Cambrai bestand in der Mehrzahl aus Franzosen. Dass Julius’ Neffe Francesco Maria jetzt als Kommandeur der päpstlichen Truppen durch die Romagna zog und die Region wieder für den Kirchenstaat in Besitz nahm, änderte nichts an der Tatsache, dass er im Schatten Ludwigs des XII. agierte und vollständig auf dessen Billigung angewiesen war. Der Franzosenkönig saß derweil mit seinen vierzigtausend Soldaten in Oberitalien und überlegte, wohin er als Nächstes seine Schritte lenken sollte. Nur ein Dummkopf hätte in dieser Situation seinen Blick nicht nach Rom gerichtet.
Den Franzosen war grundsätzlich nicht zu trauen, und was für die Franzosen im Allgemeinen galt, galt für Ludwig XII. im Besonderen. Seinen Hochmut trug er wie einen Strahlenkranz zur Schau, auch konnte er nicht oft genug seine adelige Herkunft erwähnen. Die änderte jedoch nichts daran, dass er ein hageres, blutleeres Männlein war, das permanent seine Stirn in Falten legte, ohne dass in seinem Schädel dadurch irgendetwas in Gang gesetzt worden wäre. Dem Papst gegenüber gab er sich huldvoll, doch Julius wusste, dass er ihn hinter seinem Rücken als Bauern verspottete und seine Ehrerbietung abrupt ihr Ende finden würde, sobald Julius ihm nicht mehr von Nutzen wäre. Der Traum von der einstigen Größe des Kirchenstaates könnte also schnell ausgeträumt sein.
Gerade einmal fünfzehn Jahre war es her, dass Ludwigs Vorgänger Karl in Italien einmarschiert war. Florenz hatte er praktisch überrannt, zwei Monate später hatte er Rom eingenommen, weitere zwei Monate später kapitulierte Neapel. Papst Alexander hatte sich in die Engelsburg geflüchtet wie ein Kaninchen in seinen Bau. Nach Karls Abzug hatte das Haupt der Welt ausgesehen wie nach einem Erdbeben. Was von Wert und irgendwie transportierbar gewesen war, hatten die Franzosen aus der Stadt getragen. Das Einzige, was sie dafür gebracht hatten, war die vermaledeite mal francese , die Franzosenkrankheit, die niemand besser kannte als Julius selbst.
Jetzt war Julius das Kaninchen. Wenn Ludwig dieselben Ziele verfolgte wie sein Vorgänger – und die Franzosen vererbten seit Generationen ihren Anspruch auf den neapolitanischen Thron –, dann würde sich das Lavendelöl im Graben der Engelsburg womöglich sehr bald in römisches Blut verwandeln. Wie er es
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