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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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totes Lamm zur Welt bringt?«, wollte Margherita wissen.
    »Ich war einmal dabei, als mein Vater ein totes Kalb holte.«
    Die Bäuerin hatte ein Laken über das Stroh gebreitet und ihnen genug Decken gegeben, um ein ganzes Dorf zu wärmen. Noch konnten sie nicht sicher sein, ob die Aue überleben würde, doch sie schlief, und ihr Atem ging gleichmäßig. Wie von Aurelio prophezeit, hatte sie viel Blut verloren.
    »Und woher wusste dein Vater, dass es tot war?«
    »Von mir.«
    Bereits als Kind war Aurelio bei den Bauern in der Gegend für seine »begabten Hände« bekannt gewesen. Ganz gleich, ob Mensch oder Tier – sobald er ihnen die Hände auf den Bauch legte, wusste er, was darin vorging. Wie seine Hände dieses Kunststück vollbrachten, vermochte er nicht zu sagen. Jeder Erklärungsversuch war vergebens. Manche meinten, Aurelio könne mit seinen Händen praktisch in den Bauch eines Tieres hineinsehen, doch so war es nicht. Vielmehr schienen die Bäuche zu seinen Händen zu sprechen. Aber das zu beschreiben war unmöglich.
    Aufgrund seiner begabten Hände konnte Aurelio zuverlässig den Zeitpunkt einer bevorstehenden Geburt bestimmen und hatte sich in der Tat noch nie geirrt. Wenn er sagte, dass die Kuh, deren Bauch er befühlt hatte, morgen gegen Abend ihr Kalb zur Welt bringen würde, dann war es so. Und wenn ein Bauer in der Gegend mit seiner schwangeren Frau eine größere Reise zu unternehmen in Betracht zog, suchten sie zuvor Tommasos Hof auf, um Aurelio zu fragen, ob womöglich während ihrer Reise die Wehen einsetzten.
    Das tote Kalb, das Tommaso aus dem Leib der Mutterkuh gezogen hatte, als Aurelio gerade einmal neun Jahre alt gewesen war, hatte einem Viehhändler gehört.
    »Was, wenn er unrecht hat und am Ende beide tot sind?«, fragte der Händler.
    Tommaso hockte sich vor seinen Sohn und nahm Aurelios Hände in seine. »Bist du sicher?«, fragte er.
    Hilfesuchend blickte Aurelio seinen Vater an. Wie konnte er sich einer Sache sicher sein, von der er nicht einmal wusste, wie sie vor sich ging? Er betrachtete den Bauch der Kuh, den er auf Augenhöhe vor sich hatte. »Da ist ein Tier drin«, erklärte er, »und das lebt nicht mehr.«
    Tommaso richtete sich auf: »Die Entscheidung liegt bei Euch«, sagte er zu dem Händler, »aber wenn mein Sohn sagt, es ist tot, dann ist es tot.«
    Aurelios Aussage bewahrheitete sich. Tommaso rettete die Mutterkuh, und zum Dank schenkte der Händler Aurelio das Messer mit der schmalen, spitz zulaufenden Klinge und dem kunstvoll verzierten Holzgriff, in den auf beiden Seiten je eine Rose aus Perlmutt eingearbeitet war. Es war Aurelios kostbarster Besitz.
    * * *
    Die Müdigkeit drückte Aurelio sanft, aber bestimmt die Lider zu. Ein Glücksgefühl durchströmte ihn. Er hatte mit seinen eigenen Händen einem Tier, das halb so groß war wie er selbst, das Leben gerettet. Es war, als habe er von seinem Schöpfer eine Belohnung erhalten.
    »Was tust du da?«, fragte er.
    Margherita hatte seine Hand ergriffen und auf ihren Bauch gelegt. Mit Schrecken wurde Aurelio bewusst, dass sie ihr Nachthemd abgestreift hatte. Sie war vollkommen nackt! Unter den vielen Wolldecken dampfte ihr Körper geradezu vor Wärme.
    »Wenn du wirklich so begabte Hände hast«, flüsterte Margherita wie im Traum, »wäre es doch sehr schade, wenn sie zu nichts anderem gut wären, als Geburten vorherzusagen.«
    Sie nahm seine erstarrte Hand und führte sie nach oben, bis Aurelio ihre feste, üppige Brust unter seinen Fingern spürte, sowie eine Brustwarze, die sich sanft in seine Handfläche drückte.
    Margherita schmiegte ihre Brust in seine Hand. »Sag mir, was du fühlst.«
    Innerhalb eines einzigen Atemzugs versteifte sich Aurelios Glied. »Leben«, stieß er hervor.
    »Nun, mein lieber Aurelio«, ihre freie Hand verlor sich in seinen Haaren, »du kannst ruhig ein wenig mit diesem Leben spielen. Auch wird es gerne geküsst.«
    Später, als Margherita sich von der Begabung seiner Hände überzeugt hatte, nahm sie Aurelios Finger und führte sie zwischen ihre Schenkel.
    Caterina Sforza. Aurelio musste an Caterina Sforza denken. Nicht, dass er sie je zu Gesicht bekommen hätte, doch hatte er oft von ihr geträumt. Unter den Älteren in Forlì waren nicht wenige, die behaupteten, selbst dabei gewesen zu sein, als man ihr damals angedroht hatte, ihre Kinder umzubringen, falls sie sich nicht ergebe. Zur Bekräftigung dieser Drohung hatte man die Kinder zur Zitadelle geschleppt und jedem von ihnen ein

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