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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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und unverrichteter Dinge trat er den Rückweg an, mit allem, was seine Bank in Florenz ihm auszuzahlen bereit gewesen war: zwölf Dukaten. Rosselli würde bis auf weiteres in ihrer Heimatstadt bleiben. Dort hatte er wenigstens Arbeit. Sobald Michelangelo seine Dienste wieder benötigte, würde er zur Stelle sein. Niemand konnte ahnen, dass noch sieben Monate vergehen sollten, ehe der Papst zurückkehrte – und dass Rossellis Abschied von Aurelio ein endgültiger gewesen war.
    * * *
    So vergrämt und gereizt Michelangelo war, ein weiteres halbes Jahr auf sein Geld warten zu müssen, so froh war er darüber, ungestört an der Statue arbeiten zu können. Sechs Monate lang, vom starren Winter bis in den heißen Sommer hinein, verließen er und Aurelio fast täglich bei Einbruch der Dunkelheit das Haus, um sich auf verschlungenen Wegen zur Ripetta zu begeben. Hier erwartete sie die Statue, für die jeder weitere Tag, den sie eingeschlossen in ihrem Block ausharren musste, eine Qual zu bedeuten schien.
    Bis Julius, von einem Trauer- statt einem Triumphzug begleitet, wieder im Vatikan Einzug hielt, steckten nur noch Aphrodites Kopf, ihr Hals sowie ihre rechte Hand in dem marmornen Würfel fest, der ihr auf den Schultern saß. Es sah aus, als versuche sie, sich den massigen Klotz vom Kopf zu reißen. Bereits jetzt, noch vor Beginn der Feinarbeiten, konnte man durch den Schleier hindurch die Anspannung der Oberschenkel spüren, vermittelten die hervortretenden Sehnen an ihrem nackten Fuß den Eindruck, Aphrodite sei im Absprung begriffen, ließen die geschwungenen Hüften erahnen, dass zwischen ihnen die Begierde einen Kampf mit sich selbst austrug.
    »Man kann tatsächlich Angst vor ihr bekommen«, gestand Aurelio.
    Michangelo nickte nachdenklich. »Manchmal frage ich mich, ob ich ihren Kopf nicht besser in dem Block eingeschlossen lassen sollte.«

Teil VI
    XLVIII
    August 1511
    Der Morgen an Mariä Himmelfahrt war strahlend und klar. Nicht die kleinste Wolke würde das Licht in der Kapelle trüben. Außer Julius selbst sowie Michelangelo und seinen Mitarbeitern hatte die Kapelle zwei Tage lang niemand betreten dürfen. Nicht einmal Paris de’ Grassi. Der Papst hatte damit gedroht, jeden, der vor ihm die fertige Gewölbehälfte in Augenschein nahm, blenden zu lassen. Und niemand zweifelte daran, dass er dieser Ankündigung die entsprechenden Taten folgen lassen würde. Seit seiner Rückkehr vor zwei Monaten hatte Julius kaum eine Gelegenheit ausgelassen, unliebsame Untertanen in Ketten schmieden, foltern oder enthaupten zu lassen.
    Eine ungewohnte Stille spannte sich über den Petersplatz. An Mariä Himmelfahrt ruhten sämtliche Bauarbeiten im Vatikan. Die ersten Vierungspfeiler der künftigen Peterskirche ragten in den Himmel, als habe Gott sie von dort auf die Erde geschleudert. Noch warfen die angrenzenden Häuser im weichen Morgenlicht lange Schatten auf den ausgetrockneten Boden. Die Luft allerdings hatte sich auch über Nacht kaum abgekühlt. Jeder, der den Platz betrat, wurde unwillkürlich von einer ungreifbaren Nervosität erfasst. Als müsste er Michelangelo vor möglichen Angreifern schützen, ging Aurelio zwei Schritte vor ihm her.
    Bereits beim Aufstehen war Michelangelo so überreizt gewesen, dass er sich kaum das Hemd hatte zuknöpfen können. Jetzt jedoch war es mit seiner Fassung gänzlich vorbei. Gewaltsam verschränkte er seine Finger auf dem Rücken. Kaum hatten sie das Tor zum Vatikan passiert, blieben Aurelio und er wie angewurzelt stehen. Vor dem Eingang der Sixtinischen Kapelle hatte sich eine riesige Schlange gebildet: Pilger, Geistliche, Römer jeder gesellschaftlichen Stellung und Herkunft, Geschäftsleute, Adelige, Kurtisanen in großer Zahl. Halb Rom, so schien es, hatte sich zur Kapelle begeben.
    »Das überlebe ich nicht«, murmelte Michelangelo.
    »Das bezweifle ich«, entgegnete Aurelio.
    »Da ist der Künstler!«, ertönte eine Männerstimme aus der Schlange.
    »Michelangelo Buonarroti!«, kam es aus einer anderen Richtung.
    »Lasst ihn durch. So lasst ihn doch durch!«
    Aurelio musste seinen Meister stützen, da diesem die Knie weich geworden waren und er zu schwanken begann.
    Die Kapelle war derart überfüllt, dass es Aurelio den Atem raubte. Als er kurz seinen Blick zu Boden richtete, konnte er vor lauter Füßen kaum das Mosaik erkennen. Auch im abgetrennten Sancta Sanctorum herrschte dichtes Gedränge, und es gab handgreifliche Streitigkeiten um die nicht reservierten Plätze.

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