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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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bleiben würde. Wie sehr Michelangelo dieses Gesicht zuwider war: der hündische Blick, die feinen Gesichtszüge, die lange, gerade Nase, das dunkle, glatte, immer glänzende Haar, das sich weich auf seine Schultern legte. Eine kompositorische Meisterleistung. Wie konnte jemand so versessen darauf sein, von allen gemocht und umschwärmt zu werden?
    Raffael schien die Gedanken seines Künstlerkollegen zu erahnen. Er ließ ein sanftes Lächeln erkennen: »Maestro Buonarroti, ich weiß, dass ich Euch ebenso verhasst bin wie alle anderen Menschen. Dennoch möchte ich Euch etwas sagen. Das Fresko … Ich habe noch immer nicht die richtigen Worte, es zu beschreiben. Eure Figuren, insbesondere die Propheten und Sibyllen …« Michelangelo erstarrte zu Stein. Einzig die Kaumuskeln, mit denen er seine Kiefer aufeinanderpresste, bewegten sich. »Ihre Ausdruckskraft …« Raffael senkte sein Haupt, bevor er fortfuhr. »Sie hat nicht ihresgleichen. Und ich sehe nicht, wie sie je von einem anderen Künstler übertroffen werden könnte.«
    Wie immer im Zustand höchster Anspannung, pfiff Michelangelos Nase etwas lauter als sonst. Alle erwarteten, dass er etwas erwidern würde. Doch entweder konnte er nicht, oder er wollte nicht. Die einzige Reaktion auf das Kompliment seines Kollegen war ein verspätetes, langsames Nicken als Zeichen der Würdigung und des Dankes. Raffael schien davon nicht enttäuscht zu sein. Sie hatten einander verstanden. Es war alles gesagt. Er erwiderte Michelangelos Nicken und schritt von dannen, seine Schüler und Bewunderer wie eine Schleppe hinter sich herziehend.

XLIX
Als mir dein Augenstern zuerst erglühte,
Da war’s kein irdisch Licht, das mich getroffen,
Schon sah mein Geist entzückt den Himmel offen,
Ein ew’ger Friede zog in mein Gemüte;
Denn nimmer stillt mein Herz der Anmut Blüte,
Erzeugt aus dieser Erde niedren Stoffen;
Der Schönheit Ursprung ist sein Ziel und Hoffen;
Es fliegt der ew’gen Schönheit zu und Güte.
Nie hoffe denn ein weises Herz den Frieden
Von jener Blüte, die zu Staub verkehren
Die raue Zeit, und Tod, der uns beschieden;
Wohl mag der Sinne Glut den Greis versehren,
Die Liebe nicht, sie heiligt uns hienieden,
Doch erst der Himmel wird uns ganz verklären.
Michelangelo Buonarroti
    Michelangelo hätte die Erschaffung Adams mit geschlossenen Augen malen können. Wie in Trance brachte der Pinsel die Pigmente in den Putz ein. Dabei schien es, als ginge der Künstler im wahrsten Sinne des Wortes in seiner Arbeit auf, als werde er zu einem Werkzeug seines Pinsels. So war es immer: Je vollständiger eine Szene vor seinem inneren Auge Gestalt angenommen, je tiefer der Bildhauer sich in eine Figur versenkt hatte, umso größer war die Sicherheit bei der Ausführung und umso stärker ihre Wirkung. Aurelio zeigte sich wenig überrascht, als Michelangelo ihm, noch bevor er das erste Mal den Pinsel ansetzte, sagte, dass diese Szene ihre Betrachter später stärker in den Bann ziehen würde als alle, die er bis dahin geschaffen hatte. Dass dem Adam nichts mehr »zustoßen« könne, wie er es formulierte.
    Vier Giornate für Adam, vier für Gott. Mehr brauchte es nicht. Und das, obwohl sie nur noch zu zweit waren. Die Rückkehr des Papstes hatte so lange auf sich warten lassen, dass Rosselli inzwischen in Florenz den Auftrag für ein eigenes Fresko angenommen hatte. Wahrscheinlich, ging es Aurelio durch den Kopf, war Piero ganz froh darüber, vorerst nicht wieder nach Rom kommen zu können. Sicher, er hätte für Michelangelo jedes Opfer erbracht, doch jahrelang als erfahrener Freskant immer nur Hilfsarbeiten zu verrichten und sich den Launen seines Freundes zu unterwerfen, erwies sich auch der größten Verehrung irgendwann als abträglich.
    Michelangelo schien ebenfalls nicht wirklich traurig darüber zu sein. Er hatte stets ein schlechtes Gewissen gehabt, seinen auf dem Gebiet der Freskenmalerei so erfahrenen Freund mit nichts anderem zu betrauen als dem Auftragen des Intonaco, dem Malen eines Gesimses oder einer Girlande. Doch was er damals Bastiano gesagt hatte, galt noch immer: Dieses Fresko war sein Fluch. Er musste es alleine vollbringen. Also bestand die Bottega seit Beginn der Arbeiten an der zweiten Gewölbehälfte nur noch aus ihm und Aurelio. Für Michelangelo bedeutete das zum einen weniger Kosten, zum anderen kaum Zeitverlust. Für Aurelio dagegen bedeutete es vor allem mehr Arbeit. Bis er den Intonaco aufgetragen, die Linien der Kartons in den Putz geritzt und die

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