Der Sixtinische Himmel
wieder davon erheben würde. Was dann mit dem Fresko sowie den ausstehenden Zahlungen geschehen würde, wusste Gott allein. Zweimal suchte Michelangelo den Kardinalkämmerer auf, um ihm das Problem vorzutragen. Dieser, der sich mit dem bezeichnenden Namen Innocenzo schmückte, war der für das Fresko zuständige Schatzmeister. Aus unerfindlichem Grund zog er sich, wann immer er eine Eintragung in seinen Geschäftsbüchern vornahm oder darin blätterte, weiße Baumwollhandschuhe über. Nach Michelangelos Aussage gab es neben den Handschuhen vor allem zwei Dinge, die Innocenzo kennzeichneten: seine Tränensäcke, die die Größe von Weinschläuchen hatten, und sein Beharren auf jeder noch so unsinnigen Vorschrift.
Feldzug hin oder her, so Innocenzo, der Heilige Vater habe verfügt, die ausstehenden tausend Dukaten für die erste Hälfte des Freskos erst auszuzahlen, nachdem er sich persönlich von dessen Existenz überzeugt habe. Eine anderslautende Anordnung habe der Kardinalkämmerer nicht erhalten. Die fünfhundert Dukaten Anzahlung für die zweite Hälfte wiederum könnten erst zur Auszahlung kommen, nachdem der Heilige Vater die erste für fertiggestellt befunden hätte.
»Aber der Heilige Vater befindet sich seit Monaten auf einem Feldzug!«, grollte Michelangelo.
Innocenzo zupfte sich die Handschuhe von den Fingern und legte sie über Kreuz auf den Tisch. »Werter Herr Buonarroti, das ist bekannt.«
»Und wie soll ich dann die zweite Hälfte des Freskos in Angriff nehmen?«
»Meine Aufgabe ist es, den Anweisungen des Heiligen Vaters Folge zu leisten, nicht, Euch zu sagen, wie Ihr Eure Arbeit verrichten sollt.«
»Ich weigere mich, auch nur einen weiteren Pinselstrich am Gewölbe anzubringen, bevor ich die mir ausstehenden Zahlungen erhalten habe!«
Innocenzo kreuzte seine Hände auf dieselbe Art wie seine Handschuhe. »Danke für die Information.«
Um wenigstens Aurelio und Rosselli bis Jahresende auszahlen zu können, versuchte Michelangelo, sich von seiner Bank in Florenz Geld überweisen zu lassen. Doch obgleich er auf sein Florentiner Konto eine vierstellige Summe eingezahlt hatte, erhielt seine Bank in Rom lediglich die Auskunft, dass eine Überweisung des erbetenen Betrags nicht möglich sei.
Anfang Dezember hielt er es nicht länger aus. Er mietete ein Pferd und packte seine Sachen. Nichts sprach dafür, dass der Papst in Bälde zurückkehren würde. Folglich musste sich Michelangelo, wenn er je sein Geld bekommen wollte, wohl oder übel nach Bologna begeben und Julius persönlich darum bitten.
Er entschied, über Florenz zu reisen. So könnte er sich zum einen endlich einmal wieder davon überzeugen, wie es seiner Familie ging und ob seine Brüder ihre Zeit mit etwas anderem verbrachten, als Karten zu spielen und zu trinken. Zum anderen würde er bei seiner Bank vorstellig werden und damit drohen, zu einem anderen Geldhaus zu wechseln, sollte sich so etwas wie bei der Überweisung wiederholen. Rosselli beschloss, seinen Freund bis Florenz zu begleiten. Solange sie die zweite Hälfte des Freskos nicht in Angriff nehmen konnten, gab es für ihn ohnehin nichts zu tun. Er würde Weihnachten und den Jahreswechsel bei seiner Familie verbringen, danach würde man weitersehen.
Zum Abschied schloss Rosselli Aurelio in die Arme: »Und du willst sicher nicht deine Familie in Forlì besuchen?«
Aurelio blickte an ihm vorbei zur Engelsburg hinüber und schüttelte zögerlich den Kopf.
Dann stand Michelangelo vor ihm, schluckte und wusste nicht, wie er sich verabschieden sollte.
»Ich werde hier sein, wenn Ihr zurückkehrt, Maestro«, sagte Aurelio.
Michelangelo nickte, biss sich auf die Lippen, schwang sich auf sein Pferd und preschte Rosselli nach, der schon vorgetrabt war.
Als Aurelio ins Haus zurückging, stand Beato, der Fattorino, im Vorraum und blickte ihn fragend an. »Keine Sorge«, beruhigte ihn Aurelio, »wir werden schon nicht verhungern.«
Aurelio hatte lange darüber nachgedacht, ob auch er nach Hause reisen sollte. Er hätte Matteo und Giovanna wiedersehen können und den kleinen Luigi, der inzwischen – Aurelio erschrak bei dem Gedanken – bald vier Jahre sein und längst schon Laufen und Sprechen gelernt haben müsste. Nach Hause. Auf ihren Hof, bei Forlì. Auf dem Grundriss der niedergebrannten Scheune würde Matteo eine neue errichtet haben. Doch noch immer wäre jede Handbreit des Hauses untrennbar und für immer mit Erinnerungen behaftet, die Aurelio die Brust
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