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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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der menschliche Abgrund.
    Je länger der Papst ihn warten ließ, umso greifbarer wurde das Gefühl einer vagen Bedrohung, das in Michelangelo aufstieg. Weshalb war Julius so sehr daran gelegen, ihn mit den Werken seines Konkurrenten zu konfrontieren? Der Bildhauer war noch gefangen in den Wirren dieser Frage, als sich die Tür an der Ostseite des Saals öffnete und der Papst eintrat. Gefolgt von Bramante! Michelangelo stellten sich die Haare an den Unterarmen auf, als er den Architekten mit seiner Unschuldsmiene und der unvermeidlichen schwarzen Samtweste hinter Julius einherstolzieren sah. Was hatte der Baumeister, der so hinterlistig war, wie er arglos tat, bei diesem Treffen verloren?
    Sie standen vor der Ostwand, Julius in der Mitte, Michelangelo zu seiner Rechten, Bramante zur Linken, und betrachteten Die Schule von Athen .
    »Was sagt Ihr dazu?«, fragte Julius.
    Da Michelangelo sicher war, dass der Papst Bramantes Ansicht zur Genüge kannte, musste die Frage an ihn gerichtet sein. Was beabsichtigte Julius mit diesem Spiel?
    »Heiliger Vater«, setzte er an, »ich hatte gehofft, wir könnten über mein …«
    »Ist es nicht geradezu …«, der Stock des Papstes beschrieb einen Bogen, der das gesamte Fresko einfing, »göttlich?«
    Michelangelo wandte sich dem Papst zu, der immer noch das Fresko betrachtete. »Heiliger Vater«, begann er von neuem, »seit einem Jahr warte ich darauf, mit den Arbeiten in der Sistina fortfahren zu können. Das Fresko …«
    »Gut, dass Ihr darauf zu sprechen kommt«, schnitt ihm Julius das Wort ab.
    Er beteuerte, wie sehr die Ewige Stadt dem Bildhauer zu Dank verpflichtet sei, auch wenn gewisse Personen sich mit Aspekten seiner Bibelauslegung sowie den dargestellten Figuren alles andere als einverstanden gezeigt hätten. Dieser Kritik zum Trotz habe Julius sich entschlossen, die erste Hälfte des Werkes als vollendet zu betrachten und den Kardinalkämmerer angewiesen, den ausstehenden Betrag zu zahlen.
    Michelangelo atmete auf. »Ich gehe davon aus«, entgegnete er, »dass diese Zahlung die vereinbarte Anzahlung für die zweite Hälfte der Arbeit einschließt.«
    Der Papst stützte sich mit gekreuzten Händen auf seinen Stock. Sofort kehrte das Gefühl der Bedrohung zurück.
    »Heiliger Vater?«, fragte Michelangelo.
    »Nun«, fing der Papst an und wandte sich endlich dem Meister zu, »wir denken darüber nach, die zweite Hälfte des Gewölbes einem anderen Künstler anzuvertrauen.«
    Bevor Michelangelo die Bedeutung dieser Worte vollständig erfasst hatte, stach ihm bereits ein Schmerz in die Schläfen. »Was …«, setzte er an, kam aber nicht über das erste Wort hinaus. »Warum?«, fragte er schließlich.
    »Nun, um einen direkten Vergleich der beiden Künstler zu ermöglichen.«
    Raffael! Dieser niederträchtige Rüschenständer versuchte, Michelangelo den Auftrag für die zweite Hälfte des Freskos abzujagen. Erst hatte Julius den Bildhauer gezwungen, den Auftrag gegen seinen Willen anzunehmen, jetzt sollte er ausgebootet werden. Deshalb hatte er ihn so lange mit Raffaels Fresken in diesen Raum gesperrt. Und wen hatte Raffael vorgeschickt? Bramante, diesen intriganten Hundsfott. Schneller, als sich eine Taube in den Himmel aufschwang, verstopfte das Blut Michelangelos Adern und ließ seinen Kopf anschwellen.
    »Darauf soll ich ein Jahr lang gewartet haben«, platzte es aus ihm heraus, »dass Raffael die von mir begonnene Arbeit zu einem unseligen Ende führt?«
    Julius war um einen versöhnlichen Ton bemüht: »Ich sagte: Wir denken darüber nach, ihn das Fresko zu Ende bringen zu lassen.«
    Also hatte er recht: Es sollte Raffael sein.
    Bramante, der bis dahin so getan hatte, als ginge ihn das alles nichts an, meldete sich zu Wort: »Und von ›unselig‹ kann sicherlich keine Rede sein.«
    Michelangelo beugte sich vor, um zwischen den beiden hin und her blicken zu können. »Eure Heiligkeit, darf ich fragen, wer mit ›wir‹ gemeint ist? Sind damit ausschließlich Eure Heiligkeit gemeint, oder schließt dieses ›wir‹ auch Maestro Bramante oder gar Raffael selbst mit ein? Mir scheint, ›Eure‹ Überlegungen sind nicht frei von äußeren Einflüssen.«
    Julius nahm eine Hand von seinem Stock und strich sich den Bart glatt, den er, so er sein Versprechen halten und ihn erst wieder abnehmen würde, nachdem er die Barbaren aus Italien vertrieben hätte, wohl für den Rest seines Lebens mit sich herumtragen müsste. »Werter Michelangelo: Ihr vergreift Euch im Ton. Ich

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