Der Sixtinische Himmel
Traum erfüllt hätte und Alfonsos abgeschlagenes Haupt vor ihm läge und den Schnee rot färbte.
Der Papst hatte die Heilige Liga wiederbelebt und neue Verbündete gewonnen. Neben der Republik Venedig und den Schweizern, die ihn bei seinem letzten Feldzug so schmählich im Stich gelassen hatten, waren dies das Königreich Aragonien, der Habsburger Kaiser Maximilian I. und Heinrich VIII. von England. Der Wichtigste aber war Ferdinand III., König von Neapel. Und das bedeutete: die Spanier. Innerhalb der Heiligen Liga stellten sie jetzt nicht nur die gewaltigste Streitmacht, sondern auch einen Befehlshaber, der den Vergleich mit Gaston de Foix und Alfonso d’Este nicht scheuen musste: Ramón de Cardona, Vizekönig von Neapel. Wenn einer die Franzosen in die Knie zu zwingen in der Lage war, dann er. Francesco Maria hatte bis auf weiteres als Truppenführer ausgedient.
Die Vorbereitungen für den anstehenden Feldzug waren bereits in vollem Gange, als in Rom die Nachricht von der Geburt des »Monsters« eintraf. In Ravenna war eine grässliche Missgestalt zur Welt gekommen. Branca Tedallini, ein römischer Chronist, notierte:
Der achte Tag des März: Wie in Ravenna einem Mönch und einer Nonne ein Kind geboren wurde, so wie ich es Euch beschreiben werde: Sein Kopf war riesig, ebenso sein Mund, und von seiner Stirn stand ein Horn ab. Auf seiner Brust waren drei Buchstaben: YXV. Ebenso drei Büschel Haare. Ein Bein war behaart und hatte einen Teufelshuf, in der Mitte des anderen prangte ein Auge. Soweit man weiß, hat etwas Derartiges noch nie zuvor das Licht der Welt erblickt.
Sowohl in Ravenna also auch in Rom war jedermann davon überzeugt, dass es sich beim »Monster von Ravenna« um ein göttliches Zeichen handelte, das großes Unheil ankündigte. Als erste Reaktion ließ Julius seine Gemächer im Vatikanspalast versiegeln und zog mit seiner göttlichen Geliebten in die Engelsburg um. Viele Päpste hatten dort Zuflucht gesucht, und keiner Macht der Welt war es je gelungen, diese Festung einzunehmen. Kaum war der Papst von den unüberwindbaren Mauern umgeben, wurde er von neuer Zuversicht durchströmt. Sofern das Monster von Ravenna tatsächlich drohendes Unheil ankündigte, konnte das doch für Gottes ersten Diener nur bedeuten, sofort etwas dagegen zu unternehmen.
Ende März war es schließlich so weit: Während Alfonso d’Este und Gaston de Foix sich in Bologna noch auf die Belagerung Ravennas vorbereiteten, erreichte Ramón de Cardona mit seinen spanischen Truppen die Ewige Stadt, schloss sich mit dem Papst zusammen und zog weiter nach Norden, um sich mit der Garnison von Ravenna zu vereinigen und den Franzosen die alles entscheidende Niederlage beizubringen.
Niemand konnte sich erinnern, jemals ein Heer von solchen Dimensionen den Corso hinaufziehen gesehen zu haben. An der Spitze, vor sich nur den Träger der geweihten Hostie, befanden sich Ramón de Cardona und der Papst nebst ihren Gefolgen. Dahinter der so prächtig ausstaffierte, gepanzerte Kutschwagen, in dem, wie jeder wusste, Aphrodite auf ihrer goldverzierten Bettstadt mit den aus Elfenbein geschnitzten Füßen thronte. Dann kamen die Truppen: tausendfünfhundert spanische Reiter, Hunderte italienischer Arkebusierreiter und eine nicht endende Kolonne von Fußsoldaten, zehntausend, wie es hieß. Erinnerungen an den triumphalen Sieg von Agnadello wurden wach. Es dauerte Stunden, bis der letzte Soldat die Porta del Popolo durchschritten hatte. Danach waren auch die letzten Zweifler in der Heiligen Stadt überzeugt: Eine solche Streitmacht konnte nur siegreich zurückkehren.
Das Hochgefühl jedoch währte nur wenige Stunden. Kaum hatten die Truppen der Heiligen Liga die Stadt verlassen, ereignete sich ein jäher Temperatursturz. Von Norden kommend, stob ein eisiger Wind heran, verzweigte sich in die Gassen und trieb die Bewohner Roms in ihre Häuser. Nicht einmal Michelangelo wagte sich noch vor die Tür, um zu seiner Werkstatt an der Ripetta zu gehen. Als Aurelio in der Nacht wach wurde, erschienen ihm die von der Straße kommenden Geräusche seltsam gedämpft. Doch er dachte nicht darüber nach, sondern nahm sich nur die zweite Decke und wickelte sich darin ein. Bei Tagesanbruch dann hörte er die alarmierten Schritte seines Meisters auf der Treppe, sprang aus dem Bett und trat in den Vorraum. Michelangelo hatte bereits die Haustür aufgerissen und stand barfuß und im Nachtgewand auf der Straße, wo seine Füße zwei Fingerbreit im frischen
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