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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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von seiner Schmach zu befreien.
    »Geliehen?« Vor Wut zerriss Michelangelo die Seite in kleine Schnipsel und warf sie in die Luft, wo sie der Wind sogleich mit sich riss. »Bestohlen haben sie mich! Und jetzt wollen sie noch mehr! Ich bin in den Schoß einer Hydra geboren worden!«
    Kaum war er zu Hause angelangt und hatte die Tür hinter sich zugeschlagen, hatte ihn der erste Fieberschub erreicht.

LII
Etwa zweihundert Schritt vor dem spanischen Lager hielt die französische Armee an und brachte ihre Kanonen in Stellung. Ihr linker Flügel wölbte sich in einem leichten Bogen um den rechten der Spanier. In dieser Aufstellung verharrten die verfeindeten Streitkräfte über zwei Stunden, und während dieser Zeit entwickelte sich die erbarmungsloseste Kanonade zwischen zwei Armeen, die die Welt je gesehen hatte.
F. L. Taylor, The Art of War in Italy, 1494–1529

    Februar 1512
    Es war der kälteste Winter, solange man sich zurückerinnern konnte. Aurelio feuerte jeden Morgen vor dem Auftragen des Intonaco drei Kohlepfannen an, die er zuvor in einem Dreieck um die an diesem Tag zu bewältigende Giornata anordnete. Nachdem Michelangelo von dem Brief seines Vaters genesen war und ihm zurückgeschrieben hatte, dass sich das Fegefeuer in eine Eiswüste verwandeln müsse, ehe er seine Brüder noch mehr von seinem Geld auf den Grund des Meeres versenken ließe, hatte er verkündet, bis zum Abschluss der Arbeiten am Gewölbe keinen Tag mehr ungenutzt verstreichen zu lassen. Nicht einen. Auch wenn das bedeutete, die angerührten Pigmente mit einem Alpenstock [1]   zu bearbeiten.
    Julius war ebenfalls genesen und rüstete für den Krieg. Dass ganz Oberitalien und sogar Florenz unter einer dichten Schneedecke begraben lag, kümmerte ihn nicht. Niemand konnte ihn aufhalten. Solange er Aphrodite bei sich hatte, war ihm der göttliche Beistand gewiss. Mit ihr an seiner Seite war er unbesiegbar. Und die Zeit drängte. Die Franzosen hatten einen neuen Heerführer: Gaston de Foix, der Herzog von Nemours und Neffe Ludwigs XII. Er war kaum älter als Francesco Maria, Julius’ Neffe, doch wenn man den Schilderungen Glauben schenken durfte, dann war der Herzog von Nemours aus einem anderen Holz geschnitzt als Francesco Maria. Jedenfalls sollte de Foix noch nie über kalte Füße geklagt haben. Entschlossen, kühn, schlau, tatkräftig, hungrig – das waren die Attribute, die Julius ein ums andere Mal schlucken musste, wenn ihn neue Lageberichte aus der Romagna erreichten. Mit anderen Worten: Der Neffe Ludwigs XII. war das genaue Gegenteil von Julius’ Neffen.
    Bereits im vergangenen Jahr hatten die Franzosen unter Gaston de Foix’ Führung Bologna eingenommen. Die Stadt war noch nicht vollständig geplündert, da versammelte der Heerführer bereits wieder seine Truppen, um nach Norden zu ziehen und bei Brescia die Venezianer zu schlagen. Inzwischen hatte er, von Ravenna abgesehen, die gesamte Romagna erobert. Die Hafenstadt war die letzte Bastion, die dem Kirchenstaat geblieben war. Dorthin hatten sich die päpstlichen Truppen geflüchtet, und dort warteten sie. Ein Zustand fortwährender Demütigung. Die päpstlichen Truppen, eingeschlossen in der Stadt, die man vor drei Jahren erst den Venezianern entrissen hatte. Und jetzt sollte sie den Franzosen in die Hände fallen? Das konnte unmöglich Gottes Wille sein.
    Doch es schien der von de Foix zu sein. Der nämlich zog seit einiger Zeit in aller Ruhe in Bologna seine Truppen zusammen. Und das konnte nur bedeuten: Ravenna. Und wer eilte ihm zu Hilfe, stellte seine Truppen und seine geliebten Kanonen in den Dienst der Barbaren, um gemeinsam mit dem französischen Befehlshaber die letzte päpstliche Bastion anzugreifen? Alfonso d’Este! Niemals – niemals! – würde Julius zulassen, dass dieser verfluchte Mistkerl Ravenna eroberte und den Papst ein weiteres Mal zum Gespött Italiens machte.
    Genau das hatte er vor drei Monaten erst getan. Einen Tag vor Silvester hatte ein wild gewordener Pöbel in Bologna die von Michelangelo geschaffene Bronzestatue des Papstes, die seit Jahren über dem Portal der Basilica di San Petronio gethront hatte, auf den Vorplatz stürzen lassen, wo sie einen zehn Fuß tiefen Krater gerissen hatte. Alfonso d’Este hatte sie daraufhin zu einer Kanone von nie gefertigter Größe umschmelzen lassen und sie, um die Demütigung perfekt zu machen, auf den Namen des Papstes getauft: »La Giulia«. Nein. Diesmal würde Julius nicht eher ruhen, bis sich sein

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