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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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zurück, um sie besser sehen zu können. Der vergangene Winter musste ihr furchtbar zugesetzt haben. Die Frau, die Aurelio noch ein halbes Jahr zuvor aus dreißig Schritt Entfernung an ihrer Haltung erkannt hatte – außer dem senfgelben Chaperon mit dem Schleier schien ihr nichts geblieben zu sein. Und selbst dem waren die Schmucksteine und die Feder abhandengekommen. Sogar die Haut, die Margheritas Dekolleté preisgab, war vor der Zeit gealtert. Aurelio wollte es nicht, doch er zuckte unwillkürlich zusammen.
    Margherita trat auf ihn zu und nahm seine Hände in ihre, wie um ihn am Weglaufen zu hindern. »Ich weiß«, sagte sie ohne einen Anflug von Hoffnung, »ich weiß.«
    Sie versuchte nicht einmal mehr, den Anschein zu erwecken, die Säulen ihres Tempels würden noch stehen und ein Dach halten. Sie war eingebrochen, ein Trümmerfeld, das ebenso von einstiger Größe zeugte wie von der Tatsache, dass diese Größe für immer vergangen war. Aurelio versuchte, seine Hände ihrem Griff zu entziehen, ohne es wie eine Abweisung aussehen zu lassen. Dann standen sie einander gegenüber und suchten nach Worten. Gemeinsam hatten sie die Reise nach Rom hinter sich gebracht, ein neues Leben begonnen, waren der Zukunft mit ausgebreiteten Armen entgegengeritten. Gefährten wider Willen waren sie gewesen, Freunde, Vertraute, Geliebte …
    »Was ist geschehen?«, fragte er ohne Umschweife.
    Die tiefstehende Sonne warf ihr Licht seitlich auf Margheritas Schleier. Ein unregelmäßiges Schattennetz zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Aurelio erahnte die Narbe auf ihrer linken Wange, ein gerader, wulstiger Strich vom Jochbein bis hinunter zum Mundwinkel.
    Margherita drehte ihr Gesicht aus der Sonne. »Das willst du nicht wirklich wissen.«
    »Doch«, entgegnete Aurelio, »das möchte ich.«
    Sie folgten den verschlungenen Pfaden von Trastevere, vorbei an Santa Maria mit ihren goldenen Mosaiken bis hinunter zur Ripa Grande, dem großen, flussabwärts liegenden Tiberhafen, an dem die aus dem Mittelmeer kommenden Schiffe entladen wurden. Oberhalb der Freitreppe suchten sie sich einen sonnenbeschienenen Platz, von dem aus sie das Treiben im Hafen überblicken konnten. Der Tiber führte mehr Wasser als gewöhnlich, entsprechend unberechenbar war die Strömung. Dutzende kleiner Schiffe rangierten hilfesuchend auf dem Wasser.
    Es war kein Zufall gewesen, so erzählte Margherita, dass Aurelio und sie sich vor Petroninos Laden wiedergetroffen hatten. Sie hatte gerade ihre letzten Möbel bei ihm in Zahlung gegeben. Das kleine Zimmer im ersten Stock des Bordello, in dem Aurelio und sie ihre letzte gemeinsame Nacht verbracht hatten, es war nicht länger ihres. Außer der Koffertruhe ihres Mannes gehörte nichts mehr wirklich ihr. Und die war leer. Ihre schönen Kleider waren jetzt die schönen Kleider einer anderen. Ihr alter Vermieter hatte sie aufgespürt und die Mietschulden eingetrieben. Vorher allerdings hatte er ihre alte Wohnung ausräumen lassen. Also musste sie dem Ausstatter, bei dem sie ihre Einrichtung geliehen hatte, einen Großteil der Möbel ersetzen.
    »Das ist Rom«, überlegte Margherita, »du schläfst ein als ehrenwerte Kurtisane und erwachst als Hure der untersten Kategorie.«
    »Was wirst du jetzt tun?«, wollte Aurelio wissen.
    »Du meinst, was habe ich getan.« Ihr Blick schien sich mit den Wassern des Tiber zu vereinigen und dem Meer zuzutreiben. »Ich bin zurück zu dem Bekannten meiner Cousine gezogen. Da, wo alles angefangen hat … Abends finde ich mich an der Piazza del Pozzo bianco ein.«
    Die Piazza del Pozzo bianco kannte Aurelio nur vom Hörensagen. Eine verrufene Gegend östlich der Via del Corso, wo Gesetze keine Gültigkeit mehr hatten. Wer dort einmal landete, so hieß es, den führe sein Weg nur noch unter die Erde.
    »Aber ich dachte, dieser Bekannte sei …«
    »… ein Widerling, ja. Ist er. Seiner Frau sagt er, ich würde Miete zahlen, in Wirklichkeit mache ich die Beine für ihn breit, sobald sie aus dem Haus geht.«
    Lange saßen sie schweigend auf dem Travertinquader oberhalb der Freitreppe und schauten dem abendlichen Gewusel im Hafen zu. Ununterbrochen schollen Rufe über das Wasser. Es war Eile geboten. Nach Einbruch der Dunkelheit war an ein Entladen der Kähne nicht mehr zu denken.
    »Kann ich etwas für dich tun?«, fragte Aurelio.
    Margherita schüttelte den Kopf: »Mir ist nicht mehr zu helfen.«
    Die Schatten der Häuser streckten sich über den Tiber und erreichten die andere

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