Der Sixtinische Himmel
ab.
»Wie du willst.« Giovan Simone ballte in stummem Zorn die Hände zu Fäusten. Er war nicht in der Position, von seinem älteren Bruder irgendetwas einzufordern. »Also: Wir brauchen das Geld, Bruder. Unbedingt …«
»Wir?«
»Buonarroto und ich. Achthundert Gulden. Ich bitte dich! Das kannst du uns nicht verweigern!«
»Kann ich nicht?«
»Du bekommst es wieder, zusammen mit dem anderen Geld, sobald die Ware eingetroffen ist. Ich verspreche es!«
»Du meinst die Ware, die beim letzten Mal auf den Grund des Meeres gesunken ist?«
»Diesmal versichern wir die Lieferung – bei deiner Bank. Mein Gott, wie kann man nur so halsstarrig sein?«
Michelangelo stützte sich auf dem Tisch ab, als zwinge ihn das eigene Gewicht in die Knie. Er wandte sich an seinen Gehilfen: »Aurelio: Was würdest du an meiner Stelle tun?«
»Du fragst deinen Handlanger um Rat?«, bellte Giovan Simone.
»Schweig!«, rief Michelangelo. »Also, Aurelio?«
Aurelio schoss das Blut in den Kopf. Er war nicht in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen: Noch immer spürte er Aphrodites Haut unter seinen Fingern, stieg ihm ihr bittersüßer Geruch in die Nase. Die Abdrücke ihrer heißen, vollen Lippen mussten auf seinem Gesicht zu sehen sein wie Brandmale. Die Zeichnung! Er hatte versprochen, ihr die Zeichnung zu bringen.
»Ich weiß nicht«, stammelte er. »In meiner Familie«, er dachte an Matteo und wie unerbittlich sie sich als Kinder gestritten hatten, »haben immer alle füreinander eingestanden.«
Giovan Simone schluckte. Er konnte nicht glauben, dass sein Schicksal gerade in den Händen eines Farbmischers liegen sollte. Doch nichts konnte in dieser Situation mehr Unheil anrichten als ein unbedachtes Wort.
»Heißt das, du würdest ihm das Geld geben?«, fragte Michelangelo.
»Ich glaube, das heißt«, erklärte Aurelio zögernd, »dass in unserer Familie nie einer den anderen betrogen hätte.«
Michelangelo drehte seinem Bruder den Kopf zu: »Da hast du es!«, zischte er.
Giovan Simone konnte nicht länger an sich halten: »Wenn du uns das Geld nicht gibst, werden wir dir die tausend Dukaten nie zurückzahlen können!«
»Tausendzweihundert!«
»Das ändert nichts. Wenn …«
»Wenn du die Wahl hast, viel Geld zu verlieren oder noch mehr Geld zu verlieren, was wählst du?«
»Aber ich bin ruiniert!«
»Dann ruinier nicht auch noch mich! Sonst fehlt dir bald das Dach über dem Kopf.«
Eine unheilvolle Stille breitete sich aus und füllte den Raum bis in den letzten Winkel hinein. Aurelio wurde klar, dass die Katastrophe noch bevorstand.
»Vergiss nicht, was ich weiß!«, fauchte Giovan Simone. »Zwing mich nicht zu verraten, was ich letzte Nacht gesehen habe. Ich bin sicher, der eine oder andere würde ein hübsches Sümmchen zahlen, um zu erfahren, was sich in dem Schuppen hinter der Ripetta befindet.«
Aurelio spürte seine Füße in den Boden einsinken. Sein Mund war so trocken, dass er nicht zu schlucken vermochte.
Michelangelo sah seinen Gehilfen traurig an. Sein Blick machte das Unglaubliche zur Gewissheit. »Er weiß es«, sagte er nur.
Bestürzt warf Aurelio einen Blick in den Vorraum.
»Wegen Beato musst du dir keine Sorgen machen«, ergänzte Michelangelo. »Ich habe ihn losgeschickt, Besorgungen zu machen.«
Dann erklärte er seinem Gehilfen, was vergangene Nacht geschehen war: Aufgewühlt durch den Besuch seines Bruder war er so in sich gefangen gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, wie Giovan Simone ihm nachspioniert hatte, als er in seiner geheimen Werkstatt Zuflucht vor der Bürde seines Lebens gesucht hatte. Irgendwann trommelte es dann urplötzlich gegen die Tür, und sein Bruder verlangte, eingelassen zu werden. Und zwar so lange und so vehement, bis jede Verzögerung eine noch größere Katastrophe nach sich gezogen hätte. Bereits während Michelangelo noch die Statue mit Decken verhüllte, ahnte er, dass das nichts helfen würde. Sein Bruder war faul, aber nicht dumm. Der hatte noch immer gemerkt, wenn man etwas vor ihm zu verbergen versuchte.
Aurelio schwindelte. Während er letzte Nacht Aphrodite geliebt und sie ihren unheilvollen Pakt geschlossen hatten, war Giovan Simone seinem Bruder nachgeschlichen und hatte die Statue entdeckt. Das unbestimmte, aber dennoch greifbare Gefühl stellte sich ein, dass hier gerade etwas aus den Fugen geriet, was möglicherweise verheerende Konsequenzen nach sich ziehen würde.
»Was glotzt der denn so?«, hörte er Giovan Simone seinen
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