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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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Entschluss gefasst.«
    Das Grabmal, schoss es Michelangelo durch den Kopf, er gibt mir das Grabmal zurück.
    »Ihr werdet das Deckengewölbe der Sixtinischen Kapelle mit einem neuen Fresko ausschmücken.«
    Der Kämmerer sowie der Sekretär wandten sich unauffällig ab, Francesco täuschte eine Beschäftigung vor. Bevor die Bedeutung von Julius’ Worten vollständig zu Michelangelo vorgedrungen war, pulsierte ihm vor Groll bereits das Blut in den Schläfen. Natürlich versuchte er, den Papst von seiner Idee abzubringen. Er sei Bildhauer, kein Maler. Das zu entscheiden, gab Julius zurück, solle er getrost ihm überlassen. Aber Gott habe ihm sein Talent nicht gegeben, um Decken zu bemalen, sondern um Statuen zu erschaffen, insistierte Michelangelo. Gott, entgegnete der Papst, habe ihm, Julius, die Entscheidung überlassen, wie Michelangelos Talent einzusetzen sei. Inzwischen wagte der Kämmerer kaum mehr zu atmen.
    Und wenn er sich weigere, den Auftrag anzunehmen? Julius’ Hand knetete den Knauf seines berüchtigten Stocks, der über der in den Boden gebohrten Spitze zu rotieren begann. Er habe gehört, antwortete der Papst mit einer Stimme, die Granit hätte schneiden können, in der Engelsburg seien noch Zellen frei. Zu diesem Zeitpunkt wünschte selbst Francesco, sich in Luft auflösen oder wenigstens durch Wände oder geschlossene Türen gehen zu können. Michelangelo fragte sich, wann er endlich aufwachen und diese Szene sich als Albtraum erweisen würde. Eingesperrt in der Engelsburg, wandte er ein, würde er den Ruhm des Heiligen Vaters kaum mehren können. Die Spitze von Julius’ Stock krachte mit solcher Heftigkeit auf den Boden, dass die Marmorplatte sprang. Dann werde ihm, Julius Caesar Pontifex dem Zweiten, keine andere Wahl bleiben, als darauf zu hoffen, dass die Mauern der Engelsburg sich als geeignet erwiesen, ihn, Michelangelo, seine Meinung überdenken zu lassen und die Einsicht darin zu lehren, in wessen Person sich der göttliche Wille auf Erden manifestiere.
    * * *
    Schwer atmend blieb Michelangelo stehen. Sie waren den Gianicolo wieder hinabgestiegen und in die Gassen von Trastevere eingetaucht. Doch es war nicht der Abstieg, der Michelangelo erschöpft hatte, sondern die Last der Erzählung, die er den Hügel heruntergetragen hatte. Seine Schultern hoben und senkten sich, während seine Nase das Geräusch eines Blasebalgs machte. Aurelio versuchte, seine Gedanken zu ordnen, doch in seinem Kopf ging alles durcheinander. Zudem wurde er von einem drängenden Bedürfnis abgelenkt.
    »Was war das?«, fragte Michelangelo.
    »Mein Magen, Maestro, entschuldigt.«
    »Du hast Hunger?«
    Aurelio nickte.
    »Hunger …«, überlegte Michelangelo, als kenne er dieses Gefühl lediglich vom Hörensagen.
    »Ich weiß, wie man ein Cacciucco zubereitet.«
    »Ein Cacciucco …« Der Vorschlag einer gekochten Mahlzeit schien Michelangelo zu überraschen. »Nun, warum nicht? Wir können auf dem Rückweg am Portico di Ottavia vorbeigehen.« Er nahm seinen gewohnten Gang wieder auf. »Ein schrecklicher Ort voller schreiender Menschen. Seine einstige Größe ist kaum noch zu erahnen. Doch gibt es dort, wie ich mich entsinne, alle erdenklichen Sorten Fisch zu kaufen.«
    Aurelio rief sich das Bild der leeren Küche in Erinnerung. »Was esst Ihr denn sonst?«
    »Brot.«
    Bis sie wieder das Viertel hinter dem Petersplatz erreicht hatten, warfen die Häuser lange, spitze Schatten über die Piazza Rusticucci, und ein kühler Ostwind wirbelte Staub und den Geruch des fauligen Wassers aus dem Graben der Engelsburg durch die Gassen. Michelangelo ließ die Bolzen seiner Türschlösser zurückfahren und steckte die Schlüssel ein. Endlich konnte Aurelio den Gedanken in Worte fassen, der ihn seit ihrem Abstieg vom Gianicolo beschäftigt hatte.
    »Warum bemalt Ihr nicht einfach die Decke, so wie der Papst es von Euch verlangt«, fragte er, »und wendet Euch danach wieder dem Marmor zu? Wie lange kann es schon dauern, die Decke einer Kapelle zu bemalen?«
    Michelangelo stieß die Tür auf. »Ein ganzes Jahr, fürchte ich.«
    »Ein ganzes Jahr, sagt Ihr? Aber weshalb?«
    »Das, mein Lieber, wirst du morgen erfahren.« Michelangelo schloss die Tür und schob die Riegel vor. »Jetzt kümmern wir uns erst einmal um deinen Magen.«

X
    Sie standen zwischen Zypressen, Birken und hochgewachsenen Pinien irgendwo hinter dem Papstpalast und atmeten tief die von Vogelrufen erfüllte Morgenluft ein. Michelangelo hatte Aurelio an vier

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