Der Sixtinische Himmel
göttlichen Dimensionen, doch wenn es ans Irdische geht, erweist er sich als Stümper.«
Jedenfalls wirkte Bramante so lange auf den Papst ein, den er allen Ernstes als Julius Caesar den Zweiten anredete, bis dieser trunken vor Selbstverliebtheit beschloss, die alte Basilika mitsamt dem abschließenden Querhaus dem Erdboden gleichmachen zu lassen, um einen Ort zu schaffen, an dem seine Hybris sich ungehindert entfalten könnte.
Die Bürger Roms waren entsetzt. Und nicht nur die: Kardinäle, Bettler, Pilger, einfach alle. Wie konnte ein Papst sich solch ein Sakrileg anmaßen – eine geheiligte Stätte vorsätzlich zu zerstören, noch dazu eine über tausend Jahre alte Kirche, die bereits den ersten Christen als zentrale Glaubensstätte gedient hatte? Der Sockel des Pasquino neben dem Palazzo Orsini, eine von mehreren »sprechenden Statuen« in Rom, versank in einem zwei Handbreit hohen Haufen aus Zetteln, auf denen die Bürger unmissverständlich ihren Unmut über diese Entscheidung zum Ausdruck brachten. Julius ließ sie täglich einsammeln und im Hof des Cortile verbrennen. Der einzige Kommentar, den Bramante dazu abgab, war der, dass er nach einigen Wochen beim Anblick der auflodernden Flammen zu Julius sagte: »Seht Ihr, es werden von Tag zu Tag weniger.«
Der Papst hatte sich also in ein Projekt gestürzt, das nicht nur seine ganze Aufmerksamkeit, sondern auch sämtliche finanziellen Ressourcen in Anspruch nahm. Und als wäre das alles noch nicht genug, redete Bramante Julius ein, dass es Unglück bringe, wenn man sich bereits zu Lebzeiten sein Grabmal bauen ließ. Das war das Ende von Julius’ Mausoleum. Für Michelangelo gab es keine Verwendung mehr. Die hundert Marmorblöcke wurden auf dem Petersplatz abgeladen, wo sie seit nunmehr über zwei Jahren als Irrgarten für spielende Kinder dienten.
Kaum hatte Bramante freie Hand, ging dem Papst das Geld aus. Also erließ er zur Finanzierung seiner in Travertin errichteten Selbstüberhebung eine Bulle, die die Gläubigen zum Kauf der Ablasszettel drängte, welche seither jedem Besucher der Stadt aufgeschwatzt wurden. Käufliches Seelenheil! Der gute Petrus, über dessen Grab die neue Kirche errichtet werden sollte, hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Da jedoch trotz der Ablasszettel nicht genug Geld zusammenkam, verschuldete sich Julius zusätzlich bei Chigi. Die Höhe seiner Schulden war nicht bekannt, aber man konnte sich denken, in welchen Größenordnungen sich der Kredit bewegte, wenn man wusste, dass Chigi die päpstliche Tiara als Sicherheit eingefordert hatte.
»Dann könnte Chigi sich also selbst zum Papst krönen«, überlegte Aurelio.
»Soll das ein Witz sein?«
»Ja«, antwortete Aurelio kleinlaut.
»Ah.«
Vor zwei Jahren also war ein fünfundzwanzig Fuß tiefer Krater ausgehoben und der Grundstein darin versenkt worden. Beinahe hätte sich Julius den Fuß gebrochen, als er hinabstieg, um den Marmorblock – aus Carrara! – zu weihen. Seither war nichts passiert, außer dass »Il Ruinante«, wie Bramante inzwischen im Volksmund hieß, für Tausende und Abertausende von Dukaten die kostbarsten Dinge zerstören und abtransportieren ließ. Statuen, Mosaiken, Ikonen, ja sogar geweihte Gräber und Altäre wurden abgerissen und weggeworfen. Vor nichts hatte Bramante Respekt. Dafür schob sich nun Tag für Tag eine endlose Karawane von Lastkarren die Rampe zu dem der Basilika vorgelagerten Atrium empor, um Unmengen von Pozzolana, Marmor und Travertin anzuliefern, von denen niemand wusste, wie sie einst verwendet werden sollten. Zweitausend Mann arbeiteten auf der Baustelle, und keiner wusste, was der andere tat.
Doch das war noch nicht alles: Nachdem Bramante es zuwege gebracht hatte, dass Michelangelo sein Lebenswerk entzogen wurde, kam dem Papst die Idee, ihn stattdessen die Decke der Sixtinischen Kapelle bemalen zu lassen. Er empfing ihn im großen Thronsaal im Beisein zweier Kardinäle, eines Kämmerers, eines Sekretärs sowie seines Neffen Francesco, der gerade erst achtzehn geworden war, alle Welt jedoch glauben zu machen versuchte, er sei von der Weisheit eines Hundertjährigen beseelt.
»Ah, mein teurer Michelangelo«, begrüßte ihn Julius vom Thron herab, um sich gleich darauf wieder seinem Neffen zuzuwenden.
Michelangelo musste warten, bis die beiden ihr Gespräch beendet hatten. »Ihr habt mich rufen lassen, Heiliger Vater?«
»So ist es.« Julius ließ ein unbestimmbares Lächeln erkennen. »Ich habe einen
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