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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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bekleidete der »glupschäugige Speichellecker« eine Position, die selbst durch Julius nicht mehr zu erschüttern gewesen wäre. Der Papst hatte sich von Bramante ebenso abhängig gemacht wie dieser sich von ihm.
    Beide, Bramante und Julius, waren von demselben Größenwahn befallen. Julius wollte der Stadt göttliche Größe und Würde verleihen, er wollte ein völlig neues Rom erschaffen. Und Bramante würde es ihm bauen. Der Papst hatte ihn mit allem beauftragt, was sich denken ließ: Straßen, Kirchen, Plätze, Villen. Bramantes Anhänger nannten ihn den »Brunelleschi unserer Zeit«. Kaum ein Ort in der Stadt, dem er nicht bereits seinen Stempel aufgedrückt oder an dem er nicht seine Handschrift hinterlassen hätte. Selbst das Problem der Wasserversorgung sollte er lösen und den Vatikanhügel in einen Lustgarten verwandeln, der sogar Caesar hätte verstummen lassen. Der Papstpalast war von ihm umgestaltet und durch zwei parallele, langgezogene Gebäude mit dem abgelegenen Palazzetto del Belvedere verbunden worden, in dem Bramante residierte, als sei er der Herrscher des Vatikans. Die zwischen diesen beiden »Korridoren« entstandenen Innenhöfe, Cortile genannt, beherbergten einen Brunnen, ein Theater, einen Skulpturengarten, eine Nymphengrotte und sogar eine Stierkampfarena. Niemand verschlang mit größerer Freundlichkeit Unsummen von Dukaten als Bramante.
    Vor drei Jahren hatte Julius Michelangelo aus Florenz nach Rom kommen lassen, um bei ihm sein Grabmal in Auftrag zu geben. Also hatte Michelangelo ihm eines entworfen; eines, das es kein zweites Mal auf der Welt gab noch jemals geben würde; eines, das sowohl seinem Auftraggeber wie auch seinem Erbauer unsterblichen Ruhm eingetragen hätte. Eine frei stehende Konstruktion von dreißig Fuß Breite und dreißig Ellen Höhe. Vierzig lebensgroße Statuen hätten das Ensemble aus Säulen, Bögen und Nischen schmücken sollen, und über allem thronend Papst Julius, selbst sitzend noch zehn Fuß hoch, auf dem Kopf die Tiara als irdische Krönung eines göttlichen Hauptes.
    »Die Säule auf dem Petersplatz«, unterbrach ihn Aurelio.
    »Ebenjene.«
    Julius war begeistert gewesen, ein Vertrag wurde geschlossen, das Geld für den Marmor bereitgestellt. Michelangelo fuhr nach Carrara, suchte acht Monate lang die Steinbrüche nach geeigneten Blöcken ab und überwachte den von tragischen Zwischenfällen und großen Komplikationen überschatteten Transport.
    Doch kaum war er nach Rom zurückgekehrt, war plötzlich alles anders. Julius hatte beschlossen, eine neue Peterskirche erbauen zu lassen, größer als alles, was die Welt je gesehen hatte. Ein Bauwerk, das den Ruhm der Kirche – und natürlich seinen eigenen – auf ewig festschreiben würde. Zunächst ging man davon aus, dass Sangallo zum Baumeister von Sankt Peter ernannt werden würde. Doch nachdem Bramante dessen Entwürfe zunächst kopiert hatte, um sie anschließend ins Unermessliche zu übersteigern, wurde ihm der Auftrag erteilt.
    Nach Sangallos Plänen wären Teile der alten Basilika in den Neubau integriert worden. Außerdem war vorgesehen, den Chor dergestalt zu vergrößern, dass Julius’ Grabmal dort einen würdigen Platz gefunden hätte. Doch dann kam Bramante und redete dem Papst alles aus. Jede Woche legte er ihm einen neuen Entwurf vor, jedes Mal wurde die Kirche ein Stück größer. Die Vorstellung, am Ende nur als der zu gelten, der Michelangelo – einem Florentiner Bildhauer, gerade einmal halb so alt wie er – das passende Dach für sein einzigartiges Grabmal gezimmert hätte, machte Bramante krank. Folglich tilgte er in seinen Plänen als Erstes den Chor, der Michelangelos Lebenswerk hätte aufnehmen sollen. Später nahm er ihn zwar zähneknirschend wieder auf, doch da hatte er Julius die Idee mit dem Grabmal bereits vollends ausgeredet.
    An einem schicksalhaften Tag – Bramante und Julius saßen auf der Terrasse des Palazzetto inmitten von Platten voller Krabben, Kaviar und Spanferkel – hatte dann der Größenwahn der beiden über dem in abendliches Sonnenlicht getauchten Langschiff der alten Basilika die Form einer Kuppel angenommen, gegen die sich Brunelleschis Florentiner Domkuppel wie eine Fingerübung ausnahm.
    »Niemals wird ihm das gelingen.« In Michelangelos Stimme mischten sich Wut und Trauer. »Der Mann hat Sinn für Proportionen, aber kein Gefühl für das Material. Er glaubt, er muss nur alles fünfmal so dick machen, dann wird es schon halten. Er denkt in

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