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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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hungriger Mäuler zu stopfen«.
    Als sie wieder auf die Straße traten, schüttelte Michelangelo den Ekel von sich ab: »Ein widerliches Exemplar der menschlichen Spezies.«
    »Wenn er Euch so zuwider ist, weshalb kauft Ihr dann Eure Möbel bei ihm?«
    »Weil er der Billigste ist. Immer noch ein Halsabschneider, aber der billigste.« Michelangelo klopfte sich den Umhang ab. »Zeit für etwas Schönes.«
    Nur zwei Gassen entfernt, in der Kirche Santa Maria in Trastevere, nahmen Michelangelo und sein neuer Gehilfe ein »goldenes Bad«, wie der Bildhauer es nannte. Eine treffendere Formulierung hätte er schwerlich finden können. Obgleich die goldenen Mosaiken in der Apsis hinter dem Altar bereits mehrere Jahrhunderte alt waren, erfüllte das Licht, das Jesus und Maria aussandten, die gesamte Basilika. Danach schien Michelangelo vom Dunst des Möbelhändlers vorerst gereinigt zu sein. Er blickte den Gianicolo empor – eine Erhebung, die nicht zu den sieben Hügeln Roms zählte. Auf der Kuppe war eine Klosteranlage zu sehen, die abfallenden Hänge waren zum Teil mit Weinreben bepflanzt, zum Teil sich selbst überlassen worden.
    Beim Anblick des Klosters schien sich eine Last auf Michelangelos Schultern zu legen. Schließlich sagte er: »Wo wir schon einmal hier sind …«
    Mit kleinen Schritten schlurfte er den Pfad zwischen den Weinreben hinauf. Vor der Klosterkirche angekommen, hielt er inne. Die Türen öffneten sich, eine Mönchsprozession erschien, kam die Stufen herab und verschwand in den Mauern des angrenzenden Klosters. Nachdem das Scharren der Füße verstummt war, sank Michelangelo auf die Knie, faltete seine Hände wie ein Betbruder und blickte zum Portal empor.
    »Verzeiht mir, Herr, aber er ist nicht der Richtige. Niemals wird er dieses Werk zuwege bringen, geschweige denn vollenden.« Seine Stimme wurde lauter. »Ich weiß es. Ich weiß es einfach!« Er stöhnte auf. Für einen Moment hielt er noch stumme Zwiesprache, dann schüttelte er den Kopf und ließ seine Hände auf die Oberschenkel sinken. »Also dann.«
    Er erhob sich, jedoch nicht, wie Aurelio erwartet hatte, um die Kirche zu betreten, sondern um in den benachbarten Klosterhof zu gehen. Noch im Durchgang blieb Aurelio, der ihm folgte, wie angewurzelt stehen. Auf einem runden, aus drei Stufen gebildeten Podest erhob sich eine von Säulen umstandene Kapelle.
    »Ein Kirch-Tempelchen«, erklärte Michelangelo. »Der Tempietto. Sieh ihn dir genau an.«
    Langsam trat Aurelio in den Hof und näherte sich dem Bauwerk. Den Säulen war eine Balustrade aufgesetzt, die das leicht zurückweichende Obergeschoss wie auf einem Tablett darbot. In einigen Schritten Abstand umrundete Aurelio den Andachtsort. Michelangelo rührte sich derweil nicht von der Stelle.
    »Er ist …«, setzte Aurelio an.
    »Perfekt, ich weiß«, führte Michelangelo den Gedanken zu Ende. »Er bedarf keiner Erklärung. Er ist so, wie er ist, und so, wie er ist, ist er perfekt. Man betrachtet ihn nicht und denkt: Die Säulen hätten einen Fuß kürzer sein können, oder: Warum ist das Podest nicht aus vier Stufen gebildet? Es findet sich kein Makel. Das einzige Problem ist, dass er eingeklemmt zwischen den Klostermauern sein Dasein auf diesem unwürdigen Innenhof fristen muss.«
    »Die Proportionen«, sagte Aurelio wie zu sich selbst, und in diesem Augenblick ging die Saat auf, die Michelangelo ihm in der Basilika von Bologna vor dreizehn Jahren eingepflanzt hatte, »es sind die Proportionen – das Verhältnis der einzelnen Teile zueinander.«
    »Wie recht du hast«, seufzte Michelangelo.
    »Habt Ihr ihn erbaut?«
    »Leider nein.«
    »Wer dann?«
    Michelangelo wandte sich ab und stapfte dem Tor entgegen.
    Aurelio eilte ihm nach. »Wer dann?«, wiederholte er.
    Sie tauchten in den Durchgang ein.
    »Bramante!«, platzte es aus Michelangelo heraus.
    Der Name hallte von den Wänden wider.
    * * *
    Auf dem Weg zurück ins Gassengewirr von Trastevere klärte Michelangelo seinen Begleiter endlich auf. Nicht, dass die Stadt nicht ohnehin voller Widersacher gewesen wäre. An jeder zweiten Straßenecke und in jeder gesellschaftlichen Position fanden sich Neider, Konkurrenten und Intriganten. Bramante jedoch war von allen der Schlimmste.
    Seit er vor gut zehn Jahren aus Mailand gekommen war, hatte er nach und nach Michelangelos Freund Sangallo, der noch Lorenzo de’ Medicis Lieblingsarchitekt gewesen war, den Rang abgelaufen und war zum päpstlichen Baumeister aufgestiegen. Inzwischen

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