Der Sixtinische Himmel
mit Sicherheit aus Indien. Daher der Name: Jenseits des Meeres. Der Preis für eine Unze aus erster Pressung liegt bei acht Dukaten. Wenn in Florenz ein Freskant dabei erwischt wird, wie er es heimlich gegen Azurit austauscht, wird er aus der Gilde ausgeschlossen und aus der Stadt gejagt. Sixtus war ganz verrückt danach. Sieh dir die Fresken an den Wänden an: Gold und Ultramarin, wo es nur geht. Nachdem Rosselli den Anfang gemacht hatte, verlangte Sixtus von den anderen, es ihm nachzutun. Die Decke ist mit Hunderten von Dukaten gepflastert – die wir alle abschlagen werden.«
Aurelio schien seinen Meister nicht zu hören. Er deutete auf einige Linien, die den nordwestlichen Teil des Sternenhimmels wie weiße Blitze durchzuckten.
»Der päpstliche Himmel hat Risse bekommen«, erläuterte Michelangelo. »Man hat sie mit Ziegelsteinen gefüllt und mit Gips überspachtelt. Offiziell ist das der Grund für die Deckenüberarbeitung. Das Erdreich unter der Kapelle gibt nach. Sieh mal …« Er deutete zum gegenüberliegenden Ende des Raumes.
Aurelio kniff ein Auge zu. »Die Südwand neigt sich nach außen«, stellte er fest.
»Gutes Auge. Deshalb hat Sangallo die Kuppelstangen einziehen lassen und den Boden verstärkt. Das gleiche Problem ist bei der alten Petersbasilika aufgetreten – noch ein Grund, weshalb Bramantes Projekt zum Scheitern verurteilt ist.«
»In Bologna und in Forlì habe ich Fresken gesehen, die mir groß erschienen. Verglichen hiermit jedoch waren sie winzig.«
»Das größte mir bekannte Fresko ist das von Ghirlandaio für Santa Maria Novella in Florenz. Aber selbst das ist kleiner – und noch dazu auf einer glatten Wand. Ich jedoch werde andere Schwierigkeiten zu bewältigen haben als Ghirlandaio. Es ist nicht so sehr die Größe, die mir Sorgen bereitet, als vielmehr die Wölbung.«
»Ich bin erfreut zu hören, dass Ihr Euch bereits Gedanken über die Ausführung Eurer Arbeiten macht«, erscholl plötzlich eine Stimme. Sie schien direkt aus den Mauern zu sprechen, war scharf und klar und kam aus allen Richtungen zugleich.
Aurelio fuhr herum. Auf dem etwas vorspringenden Balkon in der Mitte der Süddwand stand, eine üppig beringte Hand auf der Brüstung, Papst Julius. Er musste es sein. Schon seine Haltung bezeugte, dass er es war, dem man sich unterzuordnen hatte. Dieser Mann war niemandem Rechenschaft schuldig – außer dem allmächtigen Herrgott. Und selbst das schien in Frage zu stehen. Sein Gesicht war kantig, und über seinem schmallippigen Mund wölbte sich die kräftige Nase wie ein Felsvorsprung. Am hervorstechendsten jedoch war der klare, durchdringende Blick, der unter den buschigen Brauen lauerte.
»Heiliger Vater …« Michelangelo verbeugte sich in Richtung des Balkons.
Aurelio, der sich wünschte, von einer Falltür verschluckt zu werden, setzte ein Knie auf den Boden und senkte den Kopf so weit, dass er die Schnalle seines Schuhs im Blick hatte.
»Sagt mir, mein lieber Michelangelo, wie ist Euer Befinden an diesem wunderschönen Morgen?«, tönte die Stimme vom Balkon.
»Danke.«
»Ist das alles – danke?«
»Nun, Eure Heiligkeit, gestern Morgen war mir wohler. Da durfte ich noch darauf hoffen, Euer Grabmal in Angriff zu nehmen …«
»Hoffen dürft Ihr noch immer.«, Julius lachte auf. »Schließlich werde ich eines benötigen – früher oder später.«
Eine Tür wurde geöffnet und geschlossen. Kurz darauf trat der Heilige Vater aus einer weiteren Tür zu ebener Erde, die Aurelios Aufmerksamkeit entgangen war. Michelangelos Gehilfe hob den Kopf gerade weit genug, um einen Blick zu erhaschen. Der Papst war alt, sehr viel älter, als er auf dem Balkon gewirkt hatte. Doch er bewegte sich ohne sichtbare Anstrengung, und seine Stimme klang jünger als die Michelangelos. Seine mit Edelsteinen besetzten Schlupfschuhe glitten mühelos über den Marmorboden, und der scharlachrote, von Goldfäden durchwirkte Umhang raschelte bei jedem Schritt.
Michelangelo trat ihm aufrecht entgegen. Er war kleiner als der Papst, und seine grobe, braune Leinentunika wirkte gegen Julius’ Umhang schäbig und unwürdig. Seine energische Stirn jedoch bot sich sogar dem Stadthalter Gottes auf Erden. Ein Kampf, dachte Aurelio, sie tragen einen Kampf aus.
Ein verschmitztes Lächeln umspielte die Lippen des Papstes. »Ihr werdet dieser Kapelle zu neuem Ruhm verhelfen – das sollte Euch mit Stolz erfüllen.«
Michelangelo antwortete ohne Umschweife. »Ihr wisst, dass ich kein
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