Der Sixtinische Himmel
Freskenmaler bin. Genügt es nicht, dass ich mich bereits in der Vergangenheit Eurem Willen gebeugt und Dinge geschaffen habe, obgleich sie nicht meiner künstlerischen Natur entsprachen?«
»Dem Willen Gottes, mein teurer Michelangelo, beugt man sich nicht – man folgt ihm. Mit Demut und Leidenschaft. Und was die Bronzestatue betrifft, die Ihr in Bologna mir zu Ehren gegossen habt …«
»Ich hatte keinerlei Erfahrung mit dem Verfahren!«
Aurelio hörte Julius’ Wirbel knacken, als dieser sich zu seiner vollen Größe aufrichtete. Er war ein Bollwerk, genau wie die Sistina.
»Und dennoch«, der Papst drehte seinen gold- und edelsteinverzierten Stock in den Händen, »ist sie Euch am Ende gelungen, nicht wahr?«
»Weil ich sie zweimal gießen konnte. Bei einem Fresko aber gibt es keinen zweiten Versuch. Was nicht beim ersten Strich gelingt, kann nur durch Abschlagen des Putzes wieder rückgängig gemacht werden.«
Julius’ Stock hielt inne. »Eure Hartnäckigkeit ermüdet mich. Verschiedene Quellen haben mir berichtet, dass Euer Karton für ›Die Schlacht von Cascina‹ ganz Florenz in Entzücken versetzt hat. Man erzählt sich sogar, dass Leonardo die Arbeiten an seinem Fresko abgebrochen hat, weil er fürchtete, es würde gegen Eures nicht bestehen können.«
»Aber ›Die Schlacht von Cascina‹ ist nie zur Ausführung gelangt. Und dies hier, Heiliger Vater«, Michelangelo umfing mit einer Geste das gesamte Gewölbe, »ist etwas vollkommen anderes. Bramante hat recht: Ich habe keine Erfahrung mit der Freskenmalerei, und obendrein ist die Decke ein Tonnengewölbe. Ich müsste die Figuren in perspektivischer Verkürzung malen – di sotto in sù –, etwas, das ich noch nie gemacht habe!«
»Höchste Zeit, Euch mit dieser Technik vertraut zu machen, meint Ihr nicht?« Das Lachen des Papstes rollte die Wände empor. »Auch Ihr werdet nicht jünger, mein Lieber. Was Bramante angeht: Ich bin mir sicher, Ihr werdet ihn Lügen strafen und uns alle zu überraschen verstehen.«
Michelangelo seufzte, legte seine Handflächen aufeinander und die Fingerspitzen unter das Kinn. »Gibt es irgendetwas, das ich noch sagen könnte, um Eure Entscheidung rückgängig zu machen?«
»Ihr kennt mich zu gut, um eine solche Frage zu stellen.«
»Aber Heiliger Vater, ich …«
»Genug!«, donnerte Julius.
Das nachsichtige Lächeln des Papstes wich steinernem Zorn. Offenbar neigte sein Temperament dazu, äußerst schnell umzuschlagen. Bis in den letzten Winkel der morgendlich erleuchteten Kapelle herrschte eine zitternde Stille. Aurelio zog den Kopf ein. Nur das gleichmäßige Klicken von Julius’ rubinbesetztem Ring war zu hören, der gegen den Goldbesatz seines Stocks tippte. Die Mosaiken vor Aurelios Augen begannen zu verschwimmen. Das Rascheln des päpstlichen Umhangs näherte sich, dann spürte Aurelio ein Stechen – Julius’ Stock, dessen Spitze sich in seine linke Schulter bohrte.
»Wer oder was ist das?«, fragte der Papst, der das Gespräch über das Fresko als beendet ansah.
Michelangelo stieß einen weiteren Seufzer aus. »Ein neuer Gehilfe.«
Die goldene Stockspitze glitt an Aurelios Hals entlang und legte sich unter sein Kinn. »Möge er sich erheben.«
Aurelio stand auf, den Blick noch immer zu Boden gerichtet. Die Stockspitze jedoch zwang sein Kinn empor. Papst Julius verströmte den Duft von Rosenblüten. »Il papa terribile« war ein alter Mann, der nach Rosenblüten roch. Als sein und Aurelios Blicke sich trafen, wölbte sich die Augenbraue des Papstes zu einem silbernen Triumphbogen, und seine eben noch versteinerten Mundwinkel schmolzen wieder zu dem verschmitzten Lächeln.
»Wie ist dein Name?«
»Aurelio, Heiliger Vater.«
»Woher?«
»Forlì.«
»Forlì, hm.« Er löste seinen Stock von Aurelios Kinn, zog ein in Metall gefasstes Rundglas aus seinem Umhang, beugte sich vor und studierte mit einem riesenhaft vergrößerten Auge Aurelios Gesicht wie ein Insekt. »Mein lieber Michelangelo … mir scheint, Ihr veranstaltet neuerdings Schönheitswettbewerbe, um Eure Gehilfen auszuwählen. Welch ein Quell der Inspiration!«
»Er wird mir Modell stehen«, antwortete Michelangelo knapp. »Unter anderem.«
»Alles andere wäre auch Verschwendung.« Julius ließ das Glas in den Falten seines Umhangs verschwinden und wandte sich wieder Michelangelo zu. »Aber vergesst nicht: Ich habe Euch mit den zwölf Aposteln beauftragt. Nicht, dass mir an dieser Decke am Ende zwölfmal das Antlitz Eures
Weitere Kostenlose Bücher