Der Sixtinische Himmel
Gehilfen begegnet.«
Belustigt von dieser Vorstellung begann Papst Julius, leise zu kichern. Leichtfüßig schritt er dem Ausgang zu, wobei sein funkelnder Stock, die Spitze zur Decke gerichtet, zum Takt einer unhörbaren Musik über seinem Haupt tanzte. Einen Augenblick später war er verschwunden. Sein Kichern verhallte zwischen den Wänden, der Rosenduft verflüchtigte sich. Zurück blieben Aurelio und der Zweifel, ob er soeben tatsächlich Papst Julius begegnet war und dieser ihn einen »Quell der Inspiration« genannt hatte.
XI
»Maestro Buonarroti, welche Ehre!«
Der Mann, dessen Ohren wie Henkel an dem kugelförmigen Glatzkopf klebten, verbeugte sich so tief, dass seine Nackenfalten sichtbar wurden. Die Wand hinter dem Tresen bestand aus Hunderten unterschiedlich großer Fächer, und selbst Kreidestücke von der Größe eines Fingernagels wurden in dafür vorgesehenen Kästchen aufbewahrt. Der stechende Geruch frischen Papiers erfüllte den Raum.
»Man hat mir bereits berichtet, dass Ihr wieder in der Stadt weilt.«
»So«, antwortete Michelangelo, »hat man das?«
Der Mann kam hinter dem Verkaufstresen hervor – ein Fleischkloß, der keinen Hals und fast keine Beine zu haben schien. Die kleinen Augen blickten verschwörerisch zwischen Michelangelo und Aurelio hin und her.
»Ein Gehilfe«, erklärte Michelangelo.
»Verstehe …« Erneut wurde Aurelio vom Blick des Mannes eingefangen. »Verstehe. Ist es also wahr, dass Ihr die Kapelle der Sistina mit neuen Fresken ausschmücken werdet?«
»Das wisst Ihr wahrscheinlich besser als ich«, gab Michelangelo zurück, während er ein loses Blatt Papier von einem Stapel nahm und es prüfend gegen das Licht hielt. »Was meint Ihr, Paolo, ist es wahr?«
Die Augen des Mannes begannen zu funkeln. »Also ist es wahr!« Vor Freude klatschten seine teigigen Hände gegeneinander.
Michelangelo legte das Blatt zurück und wandte sich dem Händler zu. »Jetzt, da Ihr das Geheimnis gelüftet habt: Seit wann erzählt man sich denn davon?«
»Oh, seit Wochen schon. Doch da Euch bislang niemand zu Gesicht bekam …«
Aus der Nasenwurzel des Bildhauers entsprang eine Zornesfalte, die sich bis zu seinem Haaransatz emporschlängelte. »Und wer berichtet davon?«
Der Glatzkopf richtete den Blick zur Decke und knetete sein aus dem Fleischwulst hervortretendes Kinn. »Ihr wisst doch, wie das in Rom ist: Hier sprudeln die Neuigkeiten aus jedem Brunnen, und selbst die Mauern sind noch geschwätziger als anderswo die Waschweiber.«
»Ja«, seufzte Michelangelo, »ich weiß, wie das in Rom ist.« Er stützte sich mit den Händen auf dem Tresen ab. »Reden wir über das Geschäftliche. Ich brauche …«
»Papier, lose, mittlere Größe?«
»Und nicht das Zeug, mit dem sie am Portico die Fische einwickeln.«
»Natürlich nicht!« Der Mann nahm seinen angestammten Platz wieder ein und zog eine Schiefertafel sowie einen kunstvoll verzierten Griffel unter der Theke hervor. »Wie viel?«
»Hundert Blatt.«
»Von den Größeren?«
»Fünfzig.«
»Skizzenblöcke?«
»Ein halbes Dutzend.«
»Kartons?«
»Noch lange nicht.«
»Kreide?«
»Schwarz und weiß. Und weich. Nicht zu sandig und nicht zu spröde. Wenn ich einen Griffel will, kaufe ich mir einen.«
»Rötelstifte?«
»Zwei Breiten.«
Der Griffel kratzte über die Schiefertafel. »Silberstifte?«
»Später.«
»Federn?«
»Zwei.«
»Tinte?«
»Braun und schwarz.«
Der Mann sah von seiner Tafel auf. »Die Sistina …« Ganz offensichtlich witterte er das Geschäft seines Lebens: »Wann reden wir über die Farben?«
»Wenn ich weiß, was ich brauche. Frühestens in sechs Wochen.«
»Vergesst nicht: Auf gutes Ultramarin muss man zurzeit Monate warten.« Entschuldigend zog der Händler seinen halslosen Kopf noch weiter zwischen die Schultern. »Schwierigkeiten mit Venedig«, erklärte er.
Es hatte zu regnen begonnen. Aus einem tiefhängenden, undurchdringlich grauen Himmel klatschten schwere, warme Tropfen auf die Tonziegel der Dächer, wo sie sich zu Rinnsalen vereinigten und von einem Moment zum nächsten zahllose Krater in die Gassen bohrten, den gestampften Lehm aufweichten und den Borgo mit seinen engen, düsteren Straßen und den Wand an Wand gebauten Häusern in eine riesige Kloake verwandelten. Das war eine der vielen Lehren, die Aurelio aus diesem Tag ziehen sollte: Sobald der Regen kam, schnürte einem der Gestank der Stadt die Kehle zu.
Michelangelo schien weder den Regen noch den Gestank zu
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