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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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jedem Atemzug. Außer am Brunnen auf dem Petersplatz war nirgends sauberes Wasser zu bekommen. Aurelio hatte das Gefühl, eine schmierige und stinkende zweite Haut mit sich herumzutragen, die er nachts in sein Lager schwitzte. Aus den Sumpfgebieten jenseits der Mauern sollte sich die Malaria in die Stadt geschlichen haben, und sogar von ersten Pesttoten war bereits die Rede. In einer Stadt, die bei der letzten der zahlreichen Epidemien die Hälfte ihrer Einwohner verloren hatte, löste das eine Reaktion aus, die zwischen Panik und Resigantion verharrte und vor allem in endlosen Klagen zum Ausdruck kam. Wer es sich irgend leisten konnte, verrammelte sein Haus und floh aus der Stadt.
    Der sonst so klaglose Rosselli litt seit Tagen an Kopfschmerzen, die sich anfühlten, als habe ihm jemand »eine Garotte um den Kopf geschmiedet«. Ein plötzlicher Schwindel hatte ihn am Tag zuvor beinahe vom Gerüst stürzen lassen. In Michelangelo dagegen gärte es wie in den Gassen von Trastevere. Noch hatte er nicht gewagt, um eine Audienz bei Julius zu ersuchen, doch seit dem Gespräch mit Sangallo war klar: Er konnte noch so viele Skizzenbücher füllen, kein Entwurf würde ihn zufriedenstellen, sofern der Papst nicht einer Änderung des Gesamtkonzepts zustimmte. Missgelaunt verließen sie am Morgen gemeinsam die Bottega, um an der kleinen Kirche vorbei auf die bereits sonnenbeschienene Piazza Rusticucci zu treten und von dort zum Vatikan hinüberzulaufen, wo sie das nächste Ärgernis erwartete.
    »Signor Rosselli!«, tönte eine bekannte Stimme von unten, kaum dass sie ihre Arbeit aufgenommen hatten. Sie gehörte Paris de’ Grassi, der unter anderem die Stelle als Magister Caerimoniarum innehatte.
    Michelangelo ignorierte de’ Grassi kurzerhand, Piero hielt sich die Schläfen und verdrehte die Augen.
    Die Amtsgemächer des päpstlichen Zeremonienmeisters befanden sich im Untergeschoss der Sistina. Beinahe täglich erschien er in der Kapelle, um sich über irgendetwas zu beschweren. Dabei trug er stets ein ledergebundenes Buch unter dem Arm, das er behandelte, als enthalte es die Urteile des Jüngsten Gerichts. Wenn er nichts an der Arbeit der Bottega auszusetzen fand, beschimpfte er die Ministranten, dass die Kerzenhalter auf dem Altar nicht in einer Flucht standen, oder ermahnte die Kirchgänger zischend zur Ruhe. Jeder Verstoß gegen die Messevorschriften, jede Nichteinhaltung der Regularien wurde akribisch in seinem Buch notiert. Am liebsten hätte er Rossellis Gehilfen die Hämmer persönlich aus den Händen gerissen, doch zum Glück schien er Höhenangst zu haben – jedenfalls stellte die fünfundvierzig Fuß lange Leiter, durch die man auf die Arbeitsbühne gelangte, ein unüberwindliches Hindernis für ihn dar.
    Michelangelo und Paris de’ Grassi verband eine innige Feindschaft. Alleine das Erscheinungsbild des Künstlers – der ungepflegte Bart, die abgewetzten Hemden sowie der Umstand, dass er nicht einmal im Winter eine Kopfbedeckung trug – fasste der stets mustergültig gekleidete de’ Grassi als Beleidigung auf. Kaum standen sie sich persönlich gegenüber, begann der Zeremonienmeister unwillkürlich, sich am Hals zu kratzen. Michelangelo wiederum bezeichnete de’ Grassi als »Kläffer«. Er hatte Aurelio erklärt, dass sowohl Paris’ Name als auch die seiner Brüder Agamemnon und Achilles der Ilias entstammten und dass Paris in Homers Geschichte immer der Erste gewesen war, wenn es darum ging, große Reden zu schwingen, dass er aber auch stets als Erster in die Reihen der anderen zurücktrat, wenn den Worten Taten folgen sollten. Ein feiges Großmaul. »Als hätten es die Eltern schon bei der Geburt gewusst.«
    Bevor Piero antworten konnte, fuhr de’ Grassi bereits fort: »Ich verlange, dass dieses Gehämmere auf der Stelle eingestellt wird!«
    Das letzte Mal hatte er diesen Ton am Abend vor Pfingsten angeschlagen, als er wutschnaubend aus der Kapelle gestampft war, um sich beim Papst persönlich darüber zu beklagen, dass der Lärm und der Staub die Vespergebete unmöglich machten und die Kardinäle außer sich seien vor Empörung darüber, dass Rosselli und seine Männer sich weigerten, ihre Arbeit einzustellen.
    Rosselli mit seiner nie endenden Geduld entgegnete: »Es tut mir außerordentlich leid, Signor de’ Grassi, aber Ihr werdet verstehen, dass ich meine Anweisungen nur von Herrn Buonarroti entgegennehmen kann.«
    »Und Herr Buonarroti hat sie von mir entgegenzunehmen!«
    Piero blickte

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