Der Sixtinische Himmel
entschuldigend zu Michelangelo hinüber. Der verzog die Mundwinkel, als wolle er sagen: Dieser Tag ist ohnehin nicht mehr zu retten.
»Dann schlage ich vor, Ihr sprecht mit ihm«, antwortete Rosselli, während er den flüssigen Putz auf seiner Kelle balancierte.
»Und wo finde ich Herrn Buonarroti?«
»Er ist hier oben.«
De’ Grassi benötigte einen Moment, um seine Empörung unter Kontrolle zu bringen. Danach allerdings war seine Stimme umso kräftiger. »Möge er sich zeigen!«
Mit einem Seufzer legte Michelangelo den Kohlestift aus der Hand, erhob sich und trat an den Rand der Arbeitsbühne, wo nur noch sechzig Fuß freier Fall ihn vom Boden der Kapelle trennten. Er machte den beiden Gehilfen ein Zeichen, die daraufhin die Hämmer ruhen ließen.
»Ehrwürdiger de’ Grassi«, rief er. »Womit kann ich Euch dienlich sein?«
»Hier kann es wohl kaum darum gehen, mir dienlich zu sein«, stellte de’ Grassi klar. »Euer Interesse sollte vielmehr sein, der Kirche einen Dienst zu erweisen, indem Ihr während der Andachtszeiten wie vereinbart die Arbeit einstellt.«
»Ist das eine päpstliche Anweisung?«, rief Michelangelo.
»Als solche könnt Ihr sie ansehen.«
Michelangelo drehte sich kurz zu Rosselli und Aurelio und schnitt eine Grimasse. Als er sich wieder dem Abgrund zuwandte, trug er ein entschuldigendes Lächeln zur Schau. »Es tut mir außerordentlich leid«, rief er hinunter, »aber Ihr werdet verstehen, dass ich päpstliche Anweisungen nur vom Papst entgegennehmen kann.«
Das anschließende Schweigen hätte ausgereicht, um es mit einem vollständigen Rosenkranz zu füllen. Schließlich gab Michelangelo den beiden Gehilfen, die in der Bewegung verharrten, seit er an den Bühnenrand getreten war, ein Zeichen, mit der Arbeit fortzufahren.
Sobald das Hämmern erneut ertönte, rief de’ Grassi, der kurz davor war, endgültig seine Fassung zu verlieren: »Wenn das so ist …!«
Danach hörte man nur noch, wie die Tür der Kapelle zugeschlagen wurde.
Michelangelo kehrte zu Stift und Papier zurück. »Da geht er hin und petzt …«, sagte er im Vorbeigehen.
Noch kein Strich hatte Michelangelos Skizzenblatt gefüllt, als Papst Julius, dicht gefolgt von de’ Grassi, die Kapelle betrat.
»Maestro Buonarroti«, rief er hinauf, »eingedenk des Ortes, an dem wir uns befinden, würde ich nicht zögern, Euch zu bitten, meinem Zeremonienmeister auf halbem Weg entgegenzukommen. Doch da mir eine Leiter nicht der rechte Ort für eine Aussprache zu sein scheint, bitte ich Euch: Kommt zu uns herunter.«
Michelangelo schlug sein Skizzenbuch zu, klemmte es demonstrativ unter den Arm und stieg rückwärts die Leiter hinab. Kaum war sein Kopf verschwunden, legten sich Rosselli und Aurelio so auf die Bühne, dass ihr Blick durch den Spalt zwischen zwei Planen fiel. Ein Gefecht zwischen de’ Grassi und Michelangelo, mit Papst Julius als oberstem Richter – das versprach spannend zu werden.
Julius erklärte, dass er in den letzten Vorbereitungen begriffen und daher sehr beschäftigt sei. Er werde, begleitet von einem Zug der Schweizergarde, für einige Tage die Stadt verlassen, um seine Tochter in Bracciano zu besuchen. Dort werde er endlich einmal das tun, wozu ihm seine Amtsgeschäfte in Rom so wenig Gelegenheit gaben: angeln und segeln. Er wünsche, dass die Arbeiten in der Kapelle während seiner Abwesenheit ohne weiteren Hader vonstattengingen. Aurelio glaubte, einen beschwingten Unterton in Julius’ Stimme wahrzunehmen. Offenbar war er fest entschlossen, sich die Vorfreude auf die kommenden Tage durch nichts trüben zu lassen. Aurelio war sicher, dass ihm der Duft von Rosenblüten anhaftete. Am Ende seiner Ausführungen bat der Papst de’ Grassi, sich zu erklären.
Der Zeremonienmeister zupfte sich die Ärmel zurecht und legte mit wohlgesetzten Worten dar, dass er nicht bereit sei, die derzeitige Situation auch nur einen weiteren Tag zu erdulden. Michelangelo entgegnete, dass, wenn de’ Grassi ein Verfahren bekannt sei, den Putz vom Gewölbe zu entfernen, ohne dabei Geräusche zu verursachen und Staub aufzuwirbeln, er herzlich eingeladen sei, dieses zu demonstrieren.
De’ Grassi verscheuchte Michelangelos Einwand mit einer brüsken Handbewegung. »Ich habe die geheiligte Pflicht, der Kurie diesen Ort in einem seinem Zweck entsprechend würdigen Zustand zur Verfügung zu stellen«, verkündete er.
Michelangelo straffte seine Schultern und reckte seinen Kopf vor. »Und ich habe den geheiligten
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