Der Sixtinische Himmel
dass Sangallos Kragen zwei Knöpfe hatte und er sein schwarzes Hemd offen trug und nicht, wie Bramante, zugeknöpft.
In ihrem Wesen jedoch unterschieden sich die beiden Architekten grundlegend. Rosselli hatte in großen Bögen gestikuliert, als er Aurelio von Sangallos Fähigkeiten als Architekt vorgeschwärmt hatte. Auch Sangallo genoss das Vertrauen des Papstes – wenngleich nicht im selben Maße wie Bramante. Julius hatte ihn mit einer Reihe wichtiger Bauten beauftragt. Und die Villa Medici in Poggio, deren Entwürfe Piero gesehen hatte, würde einmal ein Juwel sein – vorausgesetzt, die Arbeiten an ihr, die seit der Vertreibung der Medici im Jahre 1495 ruhten, würden je zu Ende gebracht werden.
Michelangelo hatte seinem Florentiner Freund viel zu verdanken. Mehr als einmal schon hatte Sangallo zwischen Julius und Michelangelo vermittelt – so zum Beispiel, als Michelangelo vor zwei Jahren nach einem Streit mit dem Papst kurzerhand nach Florenz geflohen war. Was diesen Streit, der im April 1506 ebenso plötzlich wie heftig zwischen den beiden entbrannt war, ausgelöst hatte, wusste bis heute niemand genau zu sagen. Sprach man den Künstler darauf an, antwortete er entweder gar nicht oder nuschelte etwas von Drohungen, die er erhalten habe, und dass Julius ihn mit seinem gefürchteten Stock geschlagen hätte. In jedem Fall flüchtete er nach Florenz und war erst zur Rückkehr zu bewegen, nachdem Julius Florenz offen mit Krieg gedroht hatte und Sangallo, der Michelangelo beim Papst eingeführt hatte, sich als Vermittler anbot.
Bescheidenheit, dachte Aurelio. Das war es, was Sangallo von seinem Konkurrenten unterschied: Während Bramante der Erfolg zu Kopf gestiegen war, hatte er Sangallo bescheiden gemacht. Deshalb hatte sich Julius auch beim Neubau von Sankt Peter für Bramantes Entwurf entschieden. Die Kirche sollte von Hochmut zeugen, nicht von Demut.
Der Architekt schloss das Skizzenbuch und wandte sich Michelangelo zu. »Ihr habt dem Papst bereits einmal den Rücken gekehrt. Ein zweites Mal wird er das nicht hinnehmen. Niemand würde danach noch die Wogen glätten können – ich nicht und auch Kardinal Alidosi nicht.«
»Eine Änderung seiner Pläne würde Julius niemals akzeptieren«, wandte Michelangelo ein.
Sangallo forschte im Gesicht seines Freundes nach dem wahren Grund für dessen Verbitterung. Es war, als suche Michelangelo geradezu nach Gründen, die das Unterfangen unmöglich machten. Daran konnten nicht nur Julius’ Vorgaben für das Fresko schuld sein. Es war die Demütigung. Und er wollte zurück an seinen Marmor.
»Ich glaube, Ihr unterschätzt ihn«, gab Sangallo zu bedenken. »Julius mag Euch nicht freundlich gesinnt sein, doch seine Wertschätzung für Euch als Künstler könnte kaum größer sein.« Sehnsüchtig blickte Sangallo zur Baustelle von Sankt Peter hinüber, die seine hätte sein sollen – bevor Bramante seine Entwürfe zu mythischen Dimensionen aufblies und ihm so den Auftrag abjagte. »Bramante hat die Pläne für Sankt Peter sicher zwei Dutzend Mal geändert, und immer hat Julius es gutgeheißen. Obwohl noch immer niemand weiß, wie die Basilika einmal aussehen wird.«
Der Blick seiner blauen Augen war bereits alterstrübe. Aurelio hatte es bemerkt, als Sangallo Michelangelos Skizzen studierte. Um die Details zu erkennen, hatte er das Blatt dicht vor sein Gesicht halten oder sich über den Tisch beugen müssen. Vielleicht war auch das ein Grund für seine Bescheidenheit: Er wusste um seine eigene Endlichkeit.
»Ihr solltet wenigstens versuchen, Julius umzustimmen«, schloss er, wobei sich der Blick aus seinen stumpfen Augen ins Leere verlor.
Michelangelo legte den Rötelstift aus der Hand, der während seiner Unterhaltung mit Sangallo über die Tischplatte geirrt war. Auf dem Holz hatte der Umriss eines Bauwerks Gestalt angenommen: ein zweigeschossiges Monument voller Nischen und Pilaster – Julius’ Grabmal.
Er schob das Skizzenbuch über die Zeichnung. »Ihr habt recht. Ich muss mit Julius über die Sache reden.«
Teil III
XVIII
Der dreizehnte Juli schien kein guter Tag zu werden. Vor zwei Wochen bereits hatte sich eine sengende Hitze über die Stadt gestülpt, seitdem wurde das Leben von Tag zu Tag unerträglicher. Ganz Rom verwandelte sich in eine Kloake. Das Haupt der Welt stöhnte unter einem nervösen Fieber. Besonders in den tiefer gelegenen Rioni auf der anderen Tiberseite war die Luft schwer von beißender Fäulnis, und man ekelte sich vor
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