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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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Fresken.
    Es hatte Tage gedauert, ehe Aurelio die wachsende Unruhe verstand, die seinen Meister jedes Mal ergriff, sobald sie sich einer neuen Kirche näherten. Michelangelo war in einem Zwiespalt aus Hoffen und Bangen gefangen. Einerseits verlangte es ihn geradezu nach einem Fresko, das ihn voranbringen und inspirieren würde. Immerhin wagte er sich mit seinem Unterfangen auf für ihn unbekanntes Land vor. Andererseits fürchtete er jedes noch nicht gesehene Werk wie einen eifersüchtigen Nebenbuhler, der ihn hinterrücks zu ermorden drohte.
    Bald jedoch befreite sich Michelangelo von dieser Befangenheit. An ihre Stelle trat ein kindlich-trotziger Unmut. Kein Werk genügte seinen Ansprüchen. Stattdessen schien er sich von den Arbeiten seiner Vorgänger persönlich beleidigt zu fühlen. Als eines der ersten Fresken hatten sie sich das von Pinturicchio in Santa Maria in Aracoeli angesehen. Aurelio war von der Wirkung sehr angetan, wenngleich ihm die Fresken von Botticelli, Ghirlandaio und vor allem Perugino aus der Sixtinischen Kapelle lange vertraut waren. Michelangelo dagegen stieß nur geräuschvoll die Luft durch die Nase. »Solides Handwerk, nicht mehr und nicht weniger.«
    Ein andermal, vor dem Fresko Filippino Lippis in Santa Maria sopra Minerva, stellte Michelangelo fest: »Keine zwei Ave Marias kann ich mir das ansehen, ohne dabei einzuschlafen.«
    Aurelios Zunge war schneller als sein Kopf: »Dann solltet Ihr es mit nach Hause nehmen und in Eurer Kammer aufstellen.«
    Michelangelo blickte mit hinter dem Rücken verschränkten Händen zu ihm auf. »Witzbold«, sagte er, drehte sich um und eilte in seinem gewohnten Laufschritt dem Ausgang entgegen.
    »Was ist mit den Deckenfresken?«, fragte Aurelio, als sie auf den Vorplatz traten.
    Sie waren denen der Sistina, die sie soeben in wochenlanger Arbeit abgeschlagen hatten, sehr ähnlich und in ihrer Farbwirkung stärker als alles, was Aurelio bis dahin gesehen hatte. Michelangelo aber hatte sie lediglich mit einem kurzen Blick gestreift.
    »Was soll mit ihnen sein?«
    »Dieses Blau … Es ist von einer Art, die die Farbe des Himmels verblassen lässt.«
    »Wer es mag.«
    Aurelio hatte keine andere Antwort erwartet.
    Am Ende blieb nur ein einziger Künstler, den Michelangelo in der Ewigen Stadt auf dem Gebiet der Malerei als echten Konkurrenten ansah – und aus diesem Grund gleichermaßen bewunderte wie fürchtete und außerdem kein gutes Haar an ihm ließ: Raffaello Santi. Natürlich gab es noch Leonardo, der Pferde malte wie »niemand vor oder nach ihm«, doch der hatte ein Angebot als Hofmaler und leitender Ingenieur in Mailand angenommen und würde bis auf weiteres keine Gefahr mehr darstellen. Gut möglich sogar, dass ihre Wege sie auf Erden nie wieder an denselben Ort führten.
    Mit Raffael jedoch verhielt es sich anders: Erst vor wenigen Wochen hatte Julius den Maler nach Rom beordert und ihm den Auftrag erteilt, die neuen Audienzzimmer im Papstpalast mit Fresken zu schmücken. Julius’ Mundwinkel hatten getanzt vor Freude, als er Michelangelo davon in Kenntnis setzte. Nur einen Steinwurf von der Sixtinischen Kapelle entfernt bereitete der aufstrebende Künstler aus Urbino nun die Fresken für Julius’ Gemächer vor, während Michelangelo mit seinen künstlerischen Ansprüchen und der Architektur eines Tonnengewölbes rang.
    Es gab noch andere Gründe für die leidenschaftliche Abneigung, die Aurelios Meister dem acht Jahre jüngeren Künstler entgegenbrachte: sein geschmeidiges Auftreten, seine schmeichlerische Höflichkeit, seine Beliebtheit, seine vollendeten Umgangsformen, seine hilfsbedürftige Schönheit sowie der »hündische Blick, der jedes Frauenherz in Nougat verwandelt«, wie Michelangelo meinte. Der gewichtigste jedoch war Raffaels künstlerisches Vermögen. Zwar befand Michelangelo, Raffaels Madonnen seien »süß wie Mailänder Frangipane«, die Ausgewogenheit seiner Compositio jedoch zeuge von höchster Meisterschaft.
    Wie Michelangelo hatte auch Raffael früh seinen Lehrmeister überflügelt und war inzwischen, mit gerade einmal fünfundzwanzig Jahren, auf dem Parnass angelangt. Und ausgerechnet diesen Künstler hatte Julius mit den Fresken für seine neuen Gemächer beauftragt. Hinter den Mauern des Vatikans tobte ein Künstlerkrieg, bei dem keiner der Kontrahenten wusste, mit welchen Waffen der Gegner kämpfte.
    * * *
    Selbstverständlich hatte Michelangelo seinem Gehilfen auch die Statuen Roms gezeigt. Schließlich begegneten sie

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