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Der Sklave von Midkemia

Der Sklave von Midkemia

Titel: Der Sklave von Midkemia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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»Ich würde jedoch davon ausgehen, daß unter bestimmten, ungünstigen Umständen einige ihr Versprechen brechen, Mylady.«
    Im Großen Spiel konnte man niemals sicher sein; Mara hatte die Fallstricke tsuranischer Politik bereits als junges Mädchen kennengelernt. Während die Dienerin mit den Fingern durch Maras Haare fuhr und sie zu einem bequemen Zopf flocht, verschränkte die Lady der Acoma die Arme vor der Brust. »Doch wenn der Clanlord der Kanazawai mir seine Stimme gibt, folgen möglicherweise andere, die noch schwanken, der Führung des stärkeren Mannes.«
    Hinter dieser Mutmaßung blieb die unausgesprochene Furcht, daß sie zu weit gegangen sein und sich das Haus Keda zum Feind gemacht haben könnte; wenn Lord Andere ihre Forderung als Beleidigung verstand, würde nicht einmal die Tatsache, daß sie beide zur Partei des Jadeauges zählten, einen Vergeltungsschlag verhindern können.
    Doch aus dem Verharren in Unsicherheiten entstand niemals Bedeutendes. Als die Zofe die Arbeit an dem Zopf mit einem Samtband beendete, bat Mara um ein leichteres, schlichteres Gewand und betrachtete den Kreis ihrer Vertrauten. »Wir haben noch viel zu tun, bevor wir abreisen.« Ein Blick aus dem Fenster sagte ihr, daß noch einige Stunden Tageslicht blieben. »Lujan, stellt bitte eine Eskorte zusammen. Ayaki und der Natami müssen gegen Angriffe während unserer Abwesenheit geschützt werden, und eine Lieferung mit Seidenstoffen muß zu den Lagerhäusern gesandt werden, damit die Keda keinen Grund zu der Behauptung haben, wir erheben ein Monopol auf den Platz, nur um sie zu benachteiligen. Dafür muß ich noch vor Einbruch der Nacht einige Vereinbarungen mit der Königin der Cho-ja treffen.«

    Die Acoma betraten die Heilige Stadt wie eine Patrouille, die eine feindliche Grenze überschreitet. Von den stolzen Lagerhäusern am Flußufer bis zu den eindrucksvollen Alleen zwischen den Vorhöfen der großen Häuser – Kentosam hatte sich herausgeputzt wie eine Braut an ihrem Hochzeitstag. Frisch gestrichene Mauern, Girlanden aus Blumen und bunte Fähnchen verliehen jeder Straße einen fröhlichen Anblick. Die Stadt war älter als Sulan-Qu und spiegelte den Geschmack und die Architektur verschiedener Jahrhunderte wider – sie war die beeindruckendste im ganzen Kaiserreich. Mehrgeschossige steinerne Gebäude protzten mit aus Holz geschnitzten, bemalten Baikonen; raffiniert gearbeitete Laternenpfähle aus Holz und Keramik wuchsen aus Blumenbeeten entlang der Straßen. Wohin Kevin auch blickte, der Kontrast zwischen Schönheit und krasser Häßlichkeit verblüffte ihn. Der Duft aus den Tempeln vermischte sich mit dem unterschwelligen Gestank der Flußabwässer. Verwahrloste, von der kaiserlichen Regierung erfaßte Bettler saßen am Straßenrand und offenbarten den Vorbeikommenden ihre offenen Wunden und fehlenden Glieder – nicht wenige stützten sich auf Krücken, während ihr nackter Rücken an einer Mauer lehnte, die ein meisterhafter Künstler bemalt hatte. Schmutzige Gossenkinder schrien und reckten die Hälse, um einen Blick auf die große Lady zu erhaschen, während Maras wachsame Eskorte sie mit Schild und Speer zurückhielt. Matronen mit Körben an Schulterstangen deuteten stichelnd auf den großen barbarischen Sklaven, der aus dem übrigen Gefolge herausragte und mit seinen rotgoldenen Haaren bewundernde Blicke auf sich zog.
    Eilige Kuriere, die in Gruppen zusammenstehenden Kaufleuten ausweichen mußten, Prozessionen von Priestern und Priesterinnen in Kapuzengewändern und mit Reliquien an ihren Perlenschärpen, hastige Hausboten, Stadtwachen im glänzenden kaiserlichen Weiß – sie alle verliehen der Stadt eine Atmosphäre geschäftigen Wohlstands. Doch Kevin war Soldat genug, um die aufmerksamen Blicke der in dunklen Ecken kauernden Männer zu erkennen; ob es sich nun um Spione, Informanten oder einfach nur Leute handelte, die Gerüchte verbreiteten und Neuigkeiten für ein paar Münzen verkauften, die Wachen der Acoma gingen kein Risiko ein. Aufmerksame Späher überprüften jeden Türeingang, jeden von der Straße abzweigenden Weg, an dem sie vorbeikamen, und Lujans Krieger waren allzeit bereit, beim leisesten Hinweis einer Bedrohung anzugreifen. Das Versprechen des kaiserlichen Friedens bedeutete, daß Vergeltung denen gegenüber geübt wurde, die ihn brachen, doch es war keine Garantie für die Unaufmerksamen.
    Trotz der ständigen Sorge um Intrigen bot der Weg durch das Handelsviertel atemberaubende Einblicke.

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