Der Sklave von Midkemia
auf dem Gagajin – der wichtigsten Handelsroute im ganzen Kaiserreich – durch den niedrigen Wasserstand erschwert. Zwar konnten in dieser Zeit kleinere Fahrzeuge die Sandbänke umschiffen, doch den schwerbeladenen Barken mit ihrem größeren Tiefgang war es nicht möglich, den Untiefen zwischen Sulan-Qu und Jamar auszuweichen. Erst wenn durch die Schneeschmelze im Hohen Wall im Frühjahr das Wasser anstieg, konnten die schweren Frachtschiffe passieren. Mara hatte versucht, auch die Lagerräume in Kentosani, der Heiligen Stadt, an sich zu binden, doch das war ihr wegen des kaiserlichen Edikts nicht möglich gewesen. Niemand durfte mit langfristigen Verträgen die Lagerhäuser beherrschen und sie so den möglichen Bedürfnissen des Kaiserreiches entziehen.
Trotz dieses Rückschlags war es Mara gelungen, den Handel eines Konkurrenten einzugrenzen, und zwar ohne daß ihre Handlungen als offene Bedrohung oder etwas ähnliches ausgelegt werden konnten. Daß der Lord der Keda seinen Ersten Berater als Unterhändler zu einem anderen Haus geschickt hatte, zeigte, daß ihr spontaner Einfall einen wunden Punkt berührt hatte; die Lagerung des Korns stellte für die Keda ein Problem von höchster Dringlichkeit dar.
Mara täuschte Bestürzung vor. »Wenn meine Berater sich nicht deutlich ausgedrückt haben, so hört also meine Bedingungen.« Sie hielt inne, als würde sie im stillen die Punkte abzählen. »Wir garantieren Euch, ohne Einschränkung, volles Nutzungsrecht unserer Lagerräume in Silmani, von diesem Tag an bis zum ersten nach der Verschiffung Eures Korns in den Süden. Außerdem erhaltet Ihr, wieder ohne Einschränkung, gleichen Zugang zu den Lagerhäusern in allen südlichen Städten, in denen Eure Märkte liegen, solange, bis Ihr das letzte Korn der diesjährigen Ernte verkauft habt, doch nicht länger als bis zum ersten Tag des Sommers.«
Der Erste Berater der Keda saß reglos da. Sein Gesicht enthüllte nichts, doch seine müde Haltung nahm jetzt etwas Begieriges an, als er erwartungsvoll auf den Preis wartete.
Beinahe bereute Mara es, ihn enttäuschen zu müssen. »Als Gegenleistung muß Euer Lord versprechen, mir seine Stimme im Rat zu geben – zu einem Zeitpunkt, den ich bestimme, ohne Einschränkung und Einwände.«
»Unmöglich!« platzte der Erste Berater der Keda in absoluter Verletzung des Protokolls heraus.
Mara schwieg, was Nacoya zum Anlaß nahm, sich einzumischen. »Erster Berater! Ihr vergeßt Euch!«
Scham ergriff Hantigo, und er errötete, während er sich bemühte, die Beherrschung wiederzuerlangen. »Ich bitte die Lady um Vergebung.« Er kniff die kalten Augen zusammen. »Ich würde mich meinem Lord gegenüber wenig loyal verhalten, wenn ich diese Bitte anders als mit einem entschiedenen Nein beantwortete.«
Mara wußte, daß Lujan jetzt mühsam ein unangebrachtes Lächeln unterdrückte und Arakasi sie voller Anerkennung vom anderen Ende der Halle aus beobachtete. Sie brachte ihre Vorstellung mit höchster Vollkommenheit zu Ende: »So lautet unser Preis.«
Die Buchhalter und Makler blickten betreten drein, und Hantigos Röte wich einer Blässe; er zitterte. »Lady, Ihr verlangt zuviel.«
»Ihr könntet Wagen mieten und so das Korn zu den südlichen Märkten schaffen«, flüsterte ein Makler beschämt. Hantigo machte ein finsteres Gesicht und zischte zwischen zusammengebissenen Zähnen: »Wäre das jemals eine vernünftige Möglichkeit gewesen, hätte ich den Schatten des Herrenhauses meines Herrn niemals verlassen. Wir haben keine Alternativen mehr, und selbst wenn wir unsere Wagen noch in dieser Stunde aussenden, würde das Korn viel zu spät auf die Märkte gelangen. Der entscheidende Zeitpunkt wäre vorüber, und wir müßten jeden Preis akzeptieren, den die Makler uns bieten.«
Hantigo blickte Mara an; sein Gesicht war jetzt eine einzige Maske. »Die Ehre der Keda hat keinen Preis.«
Doch Arakasi hatte herausgefunden, daß der Lord der Keda sich in diesem Jahr übernommen hatte. Wenn es eine Frage des Stolzes war, konnte er das Korn unter Wert verkaufen und darauf warten, den Verlust im nächsten Jahr wieder auszugleichen. Mara spürte die Gefahr, die in dem Versuch lag, ihn zu einem solchen Weg zu zwingen; möglicherweise zog sie sich dadurch seine Feindschaft zu. Sie lächelte warm. »Erster Berater Hantigo, Ihr habt mich mißverstanden. Ich fordere Euch nicht zu Respektlosigkeit gegenüber Andero von den Keda auf. Erlaubt mir, vor diesen Zeugen zu versichern, daß ich Euren
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