Der Skorpion von Ipet-Isut
oft nur mit einem ‚das ist nicht Frauensache’ abtat. Warum bei den Göttern reagierte er dann jetzt auf diese Weise? Sie machte sich Sorgen, aber sie wusste nicht einmal genau, worüber. Tränen tropften auf die Schüssel in ihrer Hand.
„Meritamun, was hast du?“
Amenemhat war hinter sie getreten und legte jetzt die Arme um ihre Hüften.
„Es ist…“ Sie konnte keinen rechten Anfang finden, und sagte schließlich nur: „Kahotep…“
Über Amenemhats Züge huschte ein dunkler Schatten. „Ich will nicht, dass du dir über ihn Gedanken machst, Meritamun! Ich will nicht, dass er auch nur einen winzigen Platz deiner Gedanken beansprucht!“
Debora schüttelte den Kopf, merkend, dass seine Überlegungen plötzlich in eine ganz andere Richtung sich bewegten.
„Ich liebe dich, Amenemhat, das weißt du!“ flüsterte sie und legte ihre Hände auf seine Brust. „Du bist mir wichtig und niemand sonst! Aber ich-“
„Gut.“ Er neigte sich zu ihr. „Dann will ich Kahoteps Namen hier in meinem Haus nicht mehr von dir hören. Und - Ich will keine Tränen mehr in deinen Augen sehen! Sonst müsste ich glauben, du bist unglücklich an meiner Seite. – Jetzt genug davon, dies ist ein Festtag! Komm in den Hof, ich habe ein paar Musikanten eingeladen. Sie müssten gleich hier sein!“
Eine feierliche Prozession bewegte sich von der Anlegestelle in West-Waset hinauf zum Totentempel und der letzten Ruhestätte, die Pharao Ramses bereitet worden war. Der Sarkophag ruhte unter einem goldbestickten Baldachin auf einer reich geschmückten Barke, die nur erahnen ließ, welche Kostbarkeiten den Toten in die Ewigkeit begleiten würden. Unmittelbar der Barke mit dem Sarkophag folgten Ramses und seine Mutter Nefertari, die sich über die Pflicht der Trauer dezent hinweg gesetzt und besonderen Wert auf Schminke und reichen Schmuck gelegt hatte. Der Hohepriester des Amun, der den Trauerzug anführte, sollte sehen, dass sie noch immer eine schöne Frau war. Vollkommener und begehrenswerter als diese Fremdländerin, mit der er sich derzeit ergötzte... die er zu seiner FRAU genommen hatte!
Der bloße Gedanke ließ Nefertari das Blut des Zorns ins Gesicht schießen. Eine ihrer Hofdamen hatte die ‚Gemahlin des Ersten Gottesdieners’ - Nefertari hätte am Liebsten ausgespuckt – vor einigen Tagen auf dem Markt gesehen, wie sie für das Abendessen einkaufte! Diese rothaarige Brut einer Kobra! Wahrscheinlich schob sie Amenemhat Bissen für Bissen in den Mund, jeden einzelnen mit einem Bannspruch verhext!
Nefertari raste vor Eifersucht, und die Rituale für ihren verstorbenen Gemahl klangen kaum an ihr Ohr. Unterdessen war die Prozession vor dem Eingang zum Grabmal angelangt und mehrere Priester zogen mit Hilfe von Seilen den Sarkophag in eine aufrechte Stellung. Die heiligste aller Zeremonien, die ‚Mundöffnung‘ würde nun stattfinden. Die Anwesenden sanken schweigend und ehrfürchtig in die Knie. Selbst die Klageweiber waren verstummt, lagen den Kopf in den Staub gebeugt da. Nichts war mehr zu hören als die feinen Klänge der Sistren und Amenemhats Stimme. Er hatte die aus Gold gefertigten Ritualwerkzeuge ergriffen und war vor den Sarkophag getreten.
Nefertaris Augen folgten der eleganten Bewegung seiner Hände, wanderten über seine Arme und seinen Körper, an den der aufkommende Wind das Gewand drückte. Sie wollte ihn zurück; sie musste ihn zurück haben! Sie konnte sich nicht vorstellen, weitere trostlose Wochen ohne seine Berührung zubringen zu müssen!
Wieder rasselten die Sistren. Nun hatten sich die beiden Zweiten Gottesdiener aus Ipet-Isut zu ihrem Hohepriester gesellt und rezitierten die weitere Liturgie zur Öffnung der Augen, Ohren und der Nase des Verstorbenen, die jenen vorbereitete auf die gefährliche Reise durch die jenseitige Welt.
Die folgende Darbringung der Opfer und die Schmückung des Sarkophages mit den Lotusblütenkränzen war Ramses als Sohn des Pharao und damit Hauptverantwortlicher für dessen Totenkult vorbehalten. Nefertari fand, dass er sich etwas linkisch dabei anstellte. Aber in ihrem augenblicklichen Gemütszustand, das musste sie sich eingestehen, war für sie jeder Mann ein absoluter Tölpel – mit Ausnahme Amenemhats.
Der Erste und der Zweite Gottesdiener von Ipet-Isut schlugen die Götterstatuetten, die den Verstorbenen auf seiner Reise durch die Unterwelt helfend begleiten sollten, in kostbares hauchdünn gewebtes Königsleinen ein, bevor sie jede einzelne von
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