Der Skorpion von Ipet-Isut
kommen, das die Gottesgemahlin gebiert! Denn du hast mich beleidigt! Tilge die Spuren deiner Untreue!“
Als Ramses wagte, wieder aufzusehen, war das goldene Lächeln der Statue wieder unbewegt. Ramses sah sich um wie ein gehetztes Tier. Nein, niemand war zu sehen; er war allein mit seinem göttlichen Vater, wie er es sich gewünscht hatte. Ohne auf die Ritualvorschriften zu achten, stürmte er aus dem Allerheiligsten, stieß die Priester an den Tempelpforten einfach zur Seite. Im Hof stürzte er auf seinen Wesir zu und packte den sichtlich entsetzten Mann an den Schultern.
„Ich befehle, dass Ipet-Isut alles Land und alle Einkünfte zurückgegeben werden!“
„Und… und die Siedler?“ stotterte der Wesir, vor Schreck die Anrede vergessend.
„Vertreibe sie, wenn sie nicht freiwillig verschwinden! Es ist mir gleich!“ Ramses hatte Angst, Angst wie selbst in den Kämpfen mit den Truppen der Gaufürsten und den Libyern nicht.
Kiya starrte auf den Eingang des Tempels, auf ihren Gemahl, den sie so außer sich noch nie erlebt hatte und breitete die Hände schützend über ihren Leib. Etwas Schreckliches war geschehen! Sie fühlte die Welt um sich wanken und verschwimmen und brach zusammen in die Arme ihrer Dienerin.
Wenig später kam die junge Gottesgemahlin in den Gästegemächern des Tempels wieder zu sich und sah Amenemhat neben sich.
„Ehrwürdige Kiya, ich bin erfreut zu sehen, dass du wieder erwacht bist. Ich werde Sorge tragen, dass eine Sänfte geschickt wird, die dich zurück in den Palast bringt“, sagte er.
Kiya nickte und kurz ging ihr durch den Kopf, dass Ramses sich offenbar kein Stück für sie interessierte – ER war nicht hier und ER sandte auch nicht nach ihr. Unwillkürlich fühlte sie Tränen aufsteigen. „Was ist mit meinem Kind? Wird es sterben?“
„Deinem Kind wird nichts geschehen, Ehrwürdige Kiya. Es ist in der Obhut der Götter und der Segen Amuns ruht auf ihm, solange der Ruhmreiche Horus Ramses diese Heimstatt Amuns ehrt.“
Erneut nickte sie schwach und klammerte sich geradezu an das ihr außerordentlich beruhigend und gütig scheinende Lächeln des Hohenpriesters. Sie nahm sich vor zu tun, was immer in ihrer Macht stand, um die heilige Triade von Ipet-Isut zu ehren, vor allen anderen Göttern Kemets.
Als die neue Weisung des Pharao Kahotep zu Ohren kam, löste sie zuerst Bestürzung, dann Zorn und schließlich Mutlosigkeit in ihm aus. So wenig galt sein Rat also unterdessen, dass Ramses ohne ihn zu fragen diesen Entschluss in die Tat umsetzen ließ! Der Oberpriester des Ptah hatte alles in seiner Macht stehende getan, den Flüchtlingen zu helfen, Einnahmen aus der früheren Pacht von Ipet-Isut an die Bedürftigen zu verteilen! Das war jetzt hinfällig! Mit einem Federstrich hatte sich Ramses wieder zu einem Hörigen Amenemhats gemacht! Kahotep hatte keinen Zweifel, dass dieses ganze Orakel eine Scharade gewesen war! Eine weitere Sünde, die im Totengericht gegen den Hohepriester aufgewogen werden würde – aber das half ihm jetzt nicht weiter.
Welchen Sinn hat meine Präsenz bei Hofe eigentlich noch, begann Kahotep sich zu fragen. Ramses stimmte keiner Gesandtschaft zu den Libyern zu, er gab Ipet-Isut sein Land und damit seine Macht zurück, und über kurz oder lang würde wohl Amenemhat neben dem Thron stehen und die Zügel wieder an sich reißen. Der Oberpriester des Ptah stützte den Kopf in die Hände und schloss die Augen. Hatten die Götter in ihrer Unergründlichkeit bestimmt, dass nur jenem Erfolg beschieden war, der wie Amenemhat über Leichen ging?!
Der Tag neigte sich dem Ende zu. Der Hohepriester des Amun hatte geschäftige Stunden hinter sich, angefüllt mit Besuchen diverser königlicher Beamter – die sich mehr oder minder unterwürfig gaben – den Überprüfungen der alten Pachtlisten und den Einteilungen des vollständigen Priesterkollegiums. Auch hatten sich einige Mitglieder des Hofes beeilt, gleich ein größeres Kontingent an Opfergaben nach Ipet-Isut bringen zu lassen um so ihr „nicht endendes Wohlwollen“ zu demonstrieren. Amenemhat lächelte. Sie hingen ihre Fähnlein in den Wind wie stets. Nun gut. Dies war sein Sieg! Kahotep hatte die längste Zeit im Palast herum gelungert und seinen Irrsinn verbreitet! Es würde nicht mehr viel Mühe bedürfen, um den Platz neben Iny einnehmen zu können, wenn er erst frei war…
Amenemhat stand auf, rollte die noch vor ihm liegenden Papyri zusammen und sortierte sie so, dass sie am
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