Der Skorpion von Ipet-Isut
ihnen in den zugehörigen kleinen Schrein schlossen, mit einem Blumengebinde versahen und der Grabkammer übergaben.
Als die Rituale endeten und der Sarkophag auf dem Schlitten in die Grabkammer gezogen wurde, erwachte die Königsmutter wie aus einer Trance. Die kostbaren Stunden, in denen sie Amenemhat wenigstens hatte sehen können, waren so gut wie vorüber. Das war alles, woran sie denken konnte, während die lange Reihe der Priester und ausgewählten Diener die Grabbeigaben abwärts trugen. Selbst ausgesucht kostbar verzierte Waffen, Dolche, Kriegskeulen, Speere und Bogen waren dabei, obwohl der alte König der Kriegskunst nie besonders hold gewesen war. Einer der Priester des Amuntempels, Nefertari erinnerte sich nicht an seinen Namen, stand am Rand und notierte peinlich genau, ob sämtliche vorgesehenen Gegenstände auch ihr Ziel erreichten. Nicht nur, dass in den letzten Monaten immer wieder Gräber ausgeraubt worden waren; es kam häufig genug vor, dass schon zuvor Einiges an den Beigaben beiseite geschafft wurde. Diesmal waren zwei Listen angefertigt worden, die nun Stück für Stück gegen gezeichnet wurden.
Nefertari war es so gleichgültig, was mit den Grabbeigaben für ihren verstorbenen Gemahl geschah, wie er selbst ihr Zeit seines Lebens gleichgültig gewesen war. Ihre Vorstellung kreiste darum, dass Amenemhat nach Ende dieser Feiern zurück kehren würde nach Ipet-Isut… in die Arme seiner fremdländischen Hure… Ihre Stimmung sank in den Abgrund.
Debora saß in dem kleinen gemauerten Schwimmbecken, das zu Amenemhats Haus gehörte, genoss das Wasser um ihren Körper, die Abendsonne im Gesicht und den Duft der Lotusblüten, die ihre kleine Dienerin im Wasser verteilt hatte. Eine solche Annehmlichkeit hatte es auf dem Hof ihres Vaters nicht gegeben. Sie war sicher, dass er es als ein Zeichen der Dekadenz der Kinder Kemets betrachtete, wie so vieles. In den letzten Wochen hatte Debora gelernt, manche der Ansichten und Weisungen ihres Vaters, denen sie früher so bedingungslos gefolgt war, kritisch zu betrachten. Nein, sie musste kein schlechtes Gewissen haben, diese Augenblicke hier zu genießen. Sowenig, wie sie sich ihrer Liebe zu Amenemhat schämen musste! Dies war sie bereit, einem jeden ins Gesicht zu schleudern, der sie daraufhin angesprochen hätte! Sie war die Gemahlin des Ersten Gottesdieners, und sie war es aus freien Stücken, nicht, weil er sie behext hatte!
Sie erkannte am Klang des Schrittes, dass Amenemhat sich vom Haus aus näherte und wandte sich ihm zu. Er wirkte müde und der Staub von West-Waset hatte sich als eine feine Schicht auf sein Gewand und seinen Körper gelegt. Als sie einander mit einem Kuss begrüßten, hatte Debora sofort die feinen Sandkörnchen zwischen den Lippen.
„Du bist ganz entschieden an dem Ort, von dem ich den ganzen Rückweg geträumt habe, Meritamun. Ramses hatte sich einen schlechten Tag ausgesucht, die Reise ins Totenreich anzutreten; die ganze Zeit wehte ein widerlicher Wind von der Wüste her.“ Er entledigte sich mit einigen raschen Handgriffen seiner Kleidung und stieg dann zu ihr ins Wasser. „Heiß genug, um mir den Atem zu nehmen und...“ Debora an sich ziehend vollendete er den Satz: „...heiß genug um meine Sehnsucht nach dir anzufachen.“
Überrascht von dem Verlangen, das die Berührung seiner Hände unter Wasser in ihr auslöste, ließ sie sich fallen. Sie hatte das Gefühl, das Feuer, von dem er eben gesprochen hatte, wandere mit kleinen Flämmchen über ihre Haut. Ihrer beider Küsse wurden hungriger und fordernder, während ihre Körper nach einem gemeinsamen Rhythmus suchten. Sie genoss ihr Verlangen und kostete jeden Moment aus, bis sie ineinander verschmolzen und sich das Glück der Erfüllung in jeden Winkel ihres Körpers und ihrer Seele verbreitete.
Die Sonne war lange schon hinter dem Horizont verschwunden. Amenemhat und seine Gemahlin saßen auf den Matten am Rand des Wasserbeckens. Der noch immer laue Wind trocknete die restlichen Wassertropfen von ihrer Haut.
Debora blickte in die über sie gebreitete Sternenpracht. Sie schien ihr wie ein Gewand aus unzähligen Juwelen. Als Kind hatte sie sich vorgestellt, irgendwann einmal, wenn sie ‚groß genug’ sein würde, die Arme auszustrecken und die Himmelsjuwelen berühren zu können. In einer Anwandlung kindlicher Freude stand sie jetzt auf, hob die Arme und reckte sich in die Nacht. Für sie zumindest waren die Himmelsjuwelen herab geregnet! Sie war glücklich,
Weitere Kostenlose Bücher