Der Skorpion von Ipet-Isut
nächsten Morgen ins Archiv zurück gebracht werden konnten. Dann machte er sich auf den Weg in seine privaten Räumlichkeiten.
Debora hatte das Abendessen hergerichtet und wartete auf ihn. Es machte seiner jungen Gemahlin ganz besondere Freude, ihn zu bewirten. Manche der Gerichte, von denen sie sagte, ihr Vater habe sie ihr beigebracht, mochten eine etwas fremdartige Würze aufweisen, aber generell konnte er sich nicht beklagen. Auch heute duftete es wieder verlockend. Als er Debora umarmte und küsste, gestattete sich Amenemhat einen der so raren Augenblicke unbeschwerten Glücks. Aber diesmal zerrissen Deboras Worte die Illusion.
„Was ist mit den Siedlern, denen das Tempelland gegeben worden war?“ fragte sie. „Jetzt werden sie wieder obdachlos sein und hungern!“
„Und hoffentlich unseren ‚Großen Ruhmreichen Horus Ramses’ daran erinnern, dass es seine Pflicht ist, das Land von den Libyern und den abtrünnigen Gaufürsten zurück zu fordern!“ vollendete Amenemhat ihre Worte und griff nach dem Korb mit den Brotfladen, nicht gewillt, weiter über diese Angelegenheit zu sprechen.
„Aber wenn du jetzt die Einkünfte zurück hast... könntest du nicht ein paar Gaben an die Landlosen verteilen lassen?“
Amenemhat musterte sie einen Moment. Ihre Worte erinnerten ihn etwas zu sehr an Kahotep. Andererseits... Wieder im Besitz dessen, was den Tempeln in ganz Kemet zustand, konnte er es sich erlauben, gnädig und huldvoll zu sein.
„Warum nicht“, sagte er also. Ja, warum nicht. Nebenbei würde das wahrscheinlich den guten Oberpriester des Ptah vor Wut kochen lassen, falls jener sich zu solchen Entgleisungen überhaupt hinreißen ließ. Ein wundervoller Nebeneffekt. Er lächelte und füllte sich Wein in den Becher.
„Ich werde morgen früh mit dem Schatzmeister und den beiden Obersten Kornzählern sprechen. … Und mit dem Zeremonienmeister. Die Gnade des Großen Amun-Ra soll sich schließlich in einem entsprechend feierlichen Rahmen dem Volk zuneigen.“
„Es bereitet dir Freude, Kahotep zu ärgern, oder?“
„Du kennst mich zu gut, meine Geliebte… Ja“, gab er zu, „… es macht mir Freude! Einen Großteil des Chaos in Kemet verdanken wir seinen wirren Ansichten! Ich verdanke ihm Monate der Sorgen, und ich verdanke ihm den Tod des Kindes einer meiner Priester! Ihn ein wenig… ärgern… ist das Mindeste, was ich für ihn tun kann! Ah… ich sehe dir an, dass dir das nicht gefällt!“ Er streckte die Hände aus und ergriff die ihren. „Wird mich meine Freude deine Liebe kosten, Meritamun?“
„Amenemhat, ich weiß, dass es Kahotep darum ging, den Armen zu helfen!“
„…Und mich nach Möglichkeit in ein nubisches Goldbergwerk zu verbannen“, ergänzte Amenemhat.
„Ich meine es ernst. Er wollte Frieden für Kemet und Brot für die Hungernden! Das Gleiche, was auch du willst. Warum könnt ihr nicht gemeinsam daran arbeiten, anstatt gegeneinander?“
In ihren Augen lag jetzt die gleiche Stärke, die er damals in West-Waset schon so bewundert hatte. Stärke und vielleicht Sturheit, die seiner eigenen so ähnlich war, dass es ihn beunruhigte in diesem Moment.
„Weil Kahotep Berater des Pharao ist. Weil ICH ihn für unfähig halte, ER mich aber für den Ausbund des Bösen. Es tut mir leid, Meritamun. Manche Wunschträume sind ganz einfach dazu verdammt, eben dies zu bleiben!“
Ohne noch ein weiteres Wort widmete sich Debora wieder dem Essen. Sie mochte nicht, dass die Stimmung an diesem Abend eine so düstere Wende genommen hatte. Es war ein Festtag, ein Tag des Sieges für ihren Geliebten! Sie wollte seine Freude rückhaltlos teilen – aber nicht diese Art von Freude. Doch Amenemhat blockte jeden weiteren Versuch ihrerseits ab, dieses Thema zur Sprache zu bringen. Es war geradezu, als hätte sie mit der Erwähnung Kahoteps die unsichtbare Grenze erreicht, die er ihrem gegenseitigen Vertrauen gesetzt hatte. Als sie ihr Mahl beendet hatten, trug sie die leeren Teller und Speiseüberreste selbst hinaus, hoffend, sich ein wenig Ablenkung bei der Arbeit verschaffen zu können. Aber es gelang ihr nicht. Dabei war es weniger die eigene Zurücksetzung, die ihr auf der Seele lag. Viel mehr ein tiefes Gefühl der Unruhe, was Amenemhat selbst betraf. Er sprach mit ihr über die Angelegenheiten des Tempels, über die Sorgen, die die irrationale Politik des Pharaos ihm bereiteten. Er vertraute ihr so sehr – ganz anders, als ihr Vater es immer getan hatte, der Fragen allzu
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