Der Skorpion von Ipet-Isut
vor mir! Er fühlte seinen Körper protestieren gegen die ihm abverlangte Anstrengung, fühlte sich zitternd erneut auf die Knie fallen. Ich werde nicht zu schwach sein, um diese Brut einer Ratte ins Totenreich zu schicken...?! Er umklammerte sein Schwert, biss die Zähne zusammen und konzentrierte sein ganzes Selbst in diesem einen Gedanken. Die Welt um ihn schrumpfte auf dieses eine Ziel zu. Er hörte seinen eigenen Atem in den Ohren rasseln und zwinkerte vergeblich gegen den blutigen Schleier über den Augen an. Wenn die Götter mich heute in die Verdammnis schicken, werde ich nicht allein gehen! Smendes, ich schwöre es dir! Es mochte eine erbärmliche Rache am Schicksal sein – aber nichts desto trotz würde er sie vollziehen!
„...Erhabener?“
Amenemhat fuhr herum, krallte die linke Hand in die zerfetzte Rüstung seines Kameraden und hätte ihm beinahe die Klinge in den Rachen gestoßen.
„Erhabener! Smendes Männer! Sie greifen die Libyer an! Sieh doch! Sie kämpfen auf unserer Seite!“
Die Umgebung flirrte und tanzte vor seinen Augen, während der Hohepriester versuchte, in der stechenden Sonne etwas zu erkennen. Der aufkommende Wind wirbelte Sandteufel auf. Die Schreie des wieder aufflammenden Kampfes schienen von überall her gegen die kleine Felsengruppe zu branden, auf der er kniete. Smendes auf ihrer Seite?!
„Das ist eine Falle“, murmelte Amenemhat. Zumindest wollte er die Worte aussprechen. Aber er hatte nicht mehr die Kraft dazu. Die gleißende Mittagssonne vor seinen Augen verblasste und Dunkelheit senkte sich auf ihn.
Kapitel 21
Nach Nefertaris Besuch hatte Kahotep so lange gegrübelt und sich den Geist zermartert, bis er glaubte den Verstand zu verlieren. Aber er hatte sich nicht überwinden können, die verlangte Botschaft zu verfassen und noch viel weniger, seine Füße in Richtung des Taubenschlages in Bewegung zu setzen. Er saß an seinem Schreibpult, ein längst zerbrochenes Binsenstück zwischen den Fingern, und starrte vor sich hin. Als am nächsten Morgen der Zweite Gottesdiener nach ihm sah, akzeptierte Kahotep ohne weitere Überlegungen das Angebot, sich bei den Ritualen vertreten zu lassen. Er fühlte sich nicht nur krank, sondern sterbensmatt. Hatten die Götter beschlossen, seine Tage in der Welt der Lebenden zu beenden als Strafe für sein Versagen? Was würde Senmut zu ihm sagen, wenn er ihm in der anderen Welt wieder begegnete? Ja, würde er überhaupt die Dämonen bewehrten Tore des Jenseits durchschreiten können? Vielleicht nicht. Und wenn, würde sich Senmut wohl von ihm abwenden in Scham.
Aber auch diese Vorstellung brachte Kahotep nicht dazu, sich in Bewegung zu setzen. Er konnte nicht. Er wollte nicht! Sich nicht zum Werkzeug einer rachsüchtigen verlassenen Geliebten machen lassen! Einer Frau, die offenkundig bereit war, das Leben ihres eigenen Enkels aufs Spiel zu setzen! Der Ptahpriester ließ den Kopf in die Hände sinken. Die ersten Sonnenstrahlen tasteten sich über das Fensterbrett und seinen Tisch. Er war zu erschöpft, um länger auf die Stimme in seinem Innern zu achten, die ihn des Verrats und Versagens anklagte. Nur mit Mühe konnte er sich aufraffen, um nach Kiya zu sehen.
Aber dann ließ ihn der Anblick der jungen Frau und des ihn mit einem unschuldigen, glücklichen Lächeln begrüßenden Kindes alle Zweifel vergessen. Er war der Erste Diener Ptahs des Lebensspenders! Es war seine Pflicht, das Leben zu schützen! Nicht, sich in dem giftigen Sumpf aus Palastintrigen zu suhlen und schließlich ein Teil davon zu werden! Wenn er den Skorpion von Ipet-Isut nur vernichten konnte, wenn er sich auf eine Stufe mit ihm stellte, konnte das nicht der Wille Ptahs sein. Wenn die Götter Amenemhat für seine Frevel strafen wollten, würden sie das gewiss tun, ohne IHN zu Frevel verleiten zu müssen! Der Gedanke ließ endlich den so lange ersehnten Frieden in Kahotep zurück kehren. Es war so einfach, im Grunde… Warum hatte er das nicht vorher gesehen? Hatte er den Göttern nicht genug Macht zugebilligt, sich gegen Amenemhat zur Wehr zu setzen? Eine Überlegung, die ihm jetzt plötzlich mehr als armselig erschien.
Zärtlich streichelte er über das winzige Gesicht des Babys und griff dann Kiyas Hand, um den Puls zu prüfen. In Anbetracht der Strapazen, die die junge Frau hinter sich hatte, ging es ihr gut. Und während die Morgensonne auf sie fiel, fragte sich der Oberpriester, warum er sie eigentlich früher für so unansehnlich gehalten hatte. Jetzt
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