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Der Skorpion von Ipet-Isut

Der Skorpion von Ipet-Isut

Titel: Der Skorpion von Ipet-Isut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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Amenemhat schob die vor ihm stehenden Krieger mit beiden Armen zur Seite. Er hatte zu viel geopfert, um jetzt aufzugeben!
    „Hoch mit den Standarten! Hoch!“ schrie er. 
    Einen Moment später gleißte die Sonne in ihrer ganzen mittäglichen Kraft in den heiligen Zeichen Wasets und Ipet-Isuts. Es war, als berühre tatsächlich die Hand Amun-Ras die armselige verzweifelte Menschenwelt. Wie unter einem überirdischen Schirm aus Licht marschierten Amenemhat und seine Begleiter jetzt hinaus in die Wüste auf das Schlachtfeld.
    „Vorwärts! Wir ziehen uns nicht zurück! Wir werden sie schlagen!“
    General Sobekemsaf starrte auf den Hohenpriester und fragte sich, ob jener den Verstand verloren hatte und dabei war, die verbliebenen kläglichen Reste seines Heeres in den Untergang zu führen. Doch das blendende Licht in den Standartenspitzen zerschmolz diese düsteren Gedanken. Es zuckte dem Feind entgegen. Der Zorn der Götter Kemets auf die Feinde ihrer Kinder! Schon gerieten die gegnerischen Truppen in Unordnung, geblendet die einen, von abergläubischer Furcht erfasst die anderen, stolperten Kämpfer rückwärts, versuchten zu fliehen und rissen ihre in entgegen gesetzter Richtung laufenden Kameraden nieder.
    „Vorwärts!“ brüllte nun auch Sobekemsaf und trieb mit Schimpfworten die erschöpften Soldaten an, die ihm nicht schnell genug folgten. Die Standarten als Spiegel zu benutzen... eine Kriegslist, wie sie dem Ruf des Skorpions von Ipet-Isut würdig ist, dachte er dabei mit reichlicher Bewunderung. Eine Kriegslist, wie sie einem Sohn Amun-Ras würdig ist, nicht nur einem Regenten, nein, dem Herrscher der beiden Länder...

    Der erste Feind, den Amenemhat mit seiner eigenen Waffe niederstreckte, ließ ihn an Ramses denken. An den Moment, wie sich die Augen des Sterbenden voller Hass in ihn bohrten, ehe das Licht in ihnen erlosch. Ein weiterer Hieb zerfetzte das Gesicht des Libyers und die Amenemhat so widerwärtige Erinnerung. Die nächsten Male dachte er an nichts mehr. Er kämpfte und tötete wie im Rausch, spürte nicht einmal mehr den Schmerz, wenn ihn eine gegnerische Waffe verletzte. Als er schließlich erschöpft innehielt, war nicht mehr sandiger Boden unter ihm, sondern Stein. Er wandte sich um. Gemeinsam mit seinen Begleitern hatte er sich zu einer kleinen Felsgruppe durch gekämpft, die in nördlicher Richtung vom morgendlichen Standort des Heeres lag. Um sie herrschte Verwüstung. Einer von Amenemhats Mitstreitern brachte gerade einen jungen Libyer zu Fall. Röchelnd brach der Krieger zusammen, über dem Körper seines zuvor gefallenen Kameraden. Der Sieger säuberte die Klinge an seinem Lederpanzer und hob den Kopf. Sein Erscheinungsbild gab Amenemhat einen ungefähren Eindruck davon, wie er selbst aussehen mochte: das Gewand zerfetzt, bedeckt von Sand, eigenem und fremden Blut. Sie waren Dämonen aus dem Totenreich ähnlicher als Lebenden. Die Frage, ob sie wenigstens den Sieg davon getragen hatten, konnte Amenemhat sich nicht mehr stellen. Denn in diesem Moment erreichte ihn das verwunderte, mit erschöpfter, heiserer Stimme geflüsterte Wort eines seiner Männer: „Die Standarten... von Men-Nefer...“
    Amenemhat blickte in die Richtung, die sein Begleiter wies und wischte sich über das Gesicht, weil ihm ein Film von Schweiß und Blut in die Augen zu rinnen begann. Tatsächlich, dort, flirrend in der Hitze, bewegte sich ein kleinerer Heereszug in Richtung des verbliebenen Kernkontingents der libyschen Reitertruppen und ihrer Bundesgenossen. Die Standarten von Men-Nefer über ihren Köpfen. Amenemhat beobachtete das Szenario, zu erschöpft zu irgendeiner anderen Regung oder auch nur zu einem Wort. Smendes... Was tat er hier? Hatte er nicht zugesagt, den Fluss zu sichern gegen eventuelle weitere Angriffe der Libyer? Hatte er es nicht beschworen beim Leben seines Sohnes?
     „Der Junge...“ krächzte Amenemhat und fand, dass zumindest seine Stimme sich bereits anhörte wie die eines rachsüchtigen Dämons aus dem Totenreich. „Meine... Geisel!“ Er packte den zunächst stehenden seiner Mitkämpfer an der Schulter. „Hole mir den Sohn dieses ... verdammten Verräters! Los!“ 
    Der Krieger nickte und setzte sich mit schwankendem Lauf in Bewegung. Amenemhat wandte sich wieder den sich langsam nähernden Soldaten unter den Bannern von Men-Nefer zu. Diese elende Ratte... Er hat mich verraten... Ich bin tatsächlich in seine Falle getappt... Ich habe Kemet verloren... genauso verloren wie Ramses

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