Der Skorpion von Ipet-Isut
Felsen hing, fragte sich der General doch, ob es klug gewesen war, dem Hohepriester von Ipet-Isut diesen Kriegszug in die Hände zu legen. Konnte er tatsächlich Amenemhats Personenkenntnis rückhaltlos vertrauen, was den kleinen Verräter aus Smendes’ Haus betraf? Und war das viel gerühmte Charisma des ‚Skorpions’ mächtig genug, in der Stunde der Schlacht stand zu halten? Er hatte Pharao Ramses, den Vater des letzten Königs zusammenbrechen sehen in einem der Kämpfe im Delta; er hatte erlebt, wie andere großspurige Männer das Weite suchten.
Sobekemsaf beendete das routinemäßige Schärfen seines Schwertes, was für ihn beinahe den Charakter einer religiösen Übung hatte, und wandte sich zu Amenemhat. Der Hohepriester stand einige Schritt neben ihm, die eine Hälfte seiner Gestalt noch im Schatten der Felsen, während über Kopf und rechter Schulter der rötliche Glänz der aufgehenden Sonne lag. Noch immer trug Amenemhat nur sein einfaches weißes Gewand. Nur das Schwert an seiner Seite erinnerte daran, dass er sich hier nicht in Ipet-Isut befand.
„Erhabener, wie lauten deine Befehle?“
„Wir warten, bis sie noch etwas näher heran sind, dann greifen wir an“, erwiderte Amenemhat, ohne den Blick von dem gegnerischen Heer abzuwenden. „Noch scheinen Sie uns nicht bemerkt zu haben und nicht mit uns zu rechnen. Wahrscheinlich gehen Sie davon aus, dass wir auf der anderen Seite der Berge warten, jenseits der ‚Pforte zur Unterwelt’. Wir werden die Sonne und die Berge im Rücken haben. – Teile die Männer in Marschordnungen ein, die erfahrenen Kämpfer im zweiten Drittel.“
Sobekemsaf lag eine bestürzte Antwort auf der Zunge, aber im letzten Moment bevor der erste Laut über seine Lippen kam, begriff er, was Amenemhats Order tatsächlich bedeutete. Kein unvernünftiger Plan, die besten Krieger Kemets zu schützen – nein, eine Falle! Der Gegner würde glauben, es mit unerfahrenen Kämpfern zu tun zu haben und sich wahrscheinlich zu weit vorwagen. Und dann würden die erfahrenen Soldaten zuschlagen. Riskant, aber durchaus rational.
Drei Stunden darauf hatte sich die Wüste am Fuße der westlichen Berge in eine Schlachtbank verwandelt. Der süßliche Geruch von Blut und der beißende Gestank von Schweiß lagen über Erschlagenen, Verwundeten und noch immer im Kampf verkeilten Männern. Schwärme von Fliegen surrten penetrant durch die Luft, und hoch am Himmel kreisten Geier in der Erwartung eines reichlichen Mahles. Ein heißer, stetiger Wind blies von der Wüste her, lagerte sandigen Staub auf der Haut und unter den Plättchen der Rüstungen ab, reizte ausgedörrte Kehlen zum Husten. Manch einer der Krieger Kemets brach ganz einfach vor Erschöpfung zusammen und wurde von einem der Gegner aufgespießt wie ein an Land geworfener Fisch. Längst kämpfte die zweite Welle; die Erfahreneren. Eine Zeitlang war es ihnen tatsächlich gelungen, die Libyer zurück zu drängen, beinahe auch einen Keil zwischen ihre beiden Heeresflügel zu treiben – so wie Amenemhat es ursprünglich geplant hatte. Doch der Feind war ganz einfach zu zahlreich, und gegen Mittag erhielt er zusätzlich Verstärkung von einem weiteren Kontingent libyscher Verbündeter. Bald würde der einzige Vorteil, über den das Heer Kemets noch verfügte – der Sonnenstand – sich ebenso zu den Waffen der Gegner gesellen.
„Wir sollten uns zurück ziehen in die Berge!“ rief General Sobekemsaf, um den Schlachtenlärm zu übertönen. „Ohne Streitwagen haben wir nicht die mindeste Chance im offenen Gelände!“ Noch während er sprach, ging erneut einer der Männer, die sich um ihn geschart hatten von einem Pfeil durchbohrt zu Boden. Sein Ruf galt Amenemhat, der auf einem der vorgelagerten Felsplateaus stand, ebenfalls gedeckt von einigen Kriegern; die Standarten und die letzten Reserven der Männer in seiner Nähe. Sobekemsafs Rat erreichte den Hohepriester, aber er reagierte nicht. Er starrte hinab auf das Schlachtfeld, die verstümmelten Leiber und das Blut.
„Ich bin der Regent von Kemet...“ murmelte er, so leise, dass die Männer neben ihm nur sahen, wie er die Lippen bewegte. „So wahr die Götter leben, ich werde Kemet nicht preisgeben! Und wenn ich die Mächte der Unterwelt zu Hilfe rufen muss...“ Er wandte den Kopf nach oben, in die brütende Sonne, die die Spitzen der heiligen Standarten in ihren Strahlen badete. „...oder Amun-Ra selbst!“ Auf seinem staubverkrusteten Gesicht erschien ein Lächeln und
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