Der Skorpion von Ipet-Isut
Schulter klopfend. „Lauf und hole ihn!“
Kare rappelte sich auf und rannte, mit Beinen, die ihm plötzlich weich wie Butter erschienen. Wenig später kam er in Barkos’ Begleitung zurück. Deboras Vater trat dem Ersten Gottesdiener von Ipet-Isut mit hoch erhobenem Haupt entgegen. Aber er konnte nicht verhindern, dass durch den Stolz in seinen Augen eine gehörige Portion Verachtung schimmerte, etwas, das Amenemhat keineswegs entging.
„Barkos, Herr des Seneb-Re-Hofes...“ begann der Hohepriester, registrierte mit Genugtuung das Unbehagen, das kurz über die Züge seines Gegenüber huschte. „Deine Dienste für das Haus des Pharao sind hoch gerühmt in ganz Waset. Zumindest... was deine Pferde anbelangt.“
„Was willst du, Herr?“ ‚Herr’ war das höchste, was Barkos über die Lippen brachte. Titel wie ‚Erhabener’ für den vor ihm stehenden Mann zu gebrauchen, schien ihm schon in sich ein Frevel.
„Ich wünschte, dass deine Dienstbereitschaft sich nicht in den letzten Tagen in ihr Gegenteil verkehrt hätte, ehrenwerter Barkos.“
„Meine Dienstbereitschaft ist, wie sie immer war!“
„Trotzdem hast du meine Abgesandten schamlos belogen, nicht wahr?“
Der Fremdländer brach so wenig unter seinem Blick wie es seine Tochter in West-Waset getan hatte. Debora... meine wundervolle, feuerhaarige Debora...
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst, mit Verlaub, Herr.“
Amenemhat lächelte eisig. „Du weißt aber sehr wohl, dass ich über Mittel verfüge, deine Erinnerung wieder zu beleben? Es wäre überdies auch ein Jammer, wenn ein Mann wie du bei Hofe in Ungnade fallen würde.“
„Ich habe nichts zu verbergen. ... Herr.“
Der Hohepriester war das Wortgefecht leid. Er hatte keine Zeit für so etwas. „Wo ist deine Tochter?“ fragte er.
„Ich habe es den Knechten schon gesagt, die du gestern gesandt hattest. In der Aussätzigenkolonie gen Westen.“
Ein Seitenblick auf Kare und die übrigen Arbeiter, die sich neugierig um sie versammelt hatten genügte Amenemhat vollkommen, seinen Verdacht zu bekräftigen. In den Gesichtern der Umstehenden malte sich Überraschung und Bestürzung. Sie hörten das erste Wort davon, dass die Tochter ihres Herrn in eine Aussätzigenkolonie gebracht worden war!
„Das ist eine Lüge, Barkos.“
„Ich beschwöre es bei den Göttern meiner Ahnen!“
„Bei den erbärmlichen Göttern der Hapiru? Den Göttern von Halsabschneidern, Räubern und Lügnern? – Ich war in der Kolonie, Barkos! Debora ist nicht dort und sie war es niemals!“
Amenemhats Blick blieb auf einer älteren Frau mit vom Weinen geschwollenen Augen hängen. Er trat an Barkos vorbei auf sie zu. „Du bist mit Debora beim Fest der Toten gewesen, ich erinnere mich! Wo ist deine Herrin? Sag mir die Wahrheit!“
„Ich weiß es nicht, Erhabener“, schluchzte Tameri. „Sie ist seit Tagen verschwunden... war einfach eines morgens nicht mehr in ihrem Zimmer!“
Der Hohepriester sah wenig Grund in der Mimik und den Worten der Frau, ihr nicht zu glauben. Er konnte feststellen, wenn jemand log – und diese Frau tat es nicht.
„Verschwunden also“, wiederholte er und wandte sich wieder zu Barkos um, während ein neuer, fast eitler Gedanke in ihm aufblitzte. War das Mädchen aus ihrem Elternhaus geflohen um... zu ihm zu kommen?! Khenti hatte ihm berichtet, wie der Hausherr auf seine Botschaft damals reagiert hatte; wie er seine Tochter geschlagen hatte. Amenemhat fühlte das Verlangen in sich, jetzt das Gleiche mit Barkos zu tun. Seine Augen wanderten über die Gestalt des älteren Mannes, als wollte er eine Frucht Stück für Stück auseinander nehmen, bis er ihren Kern erreicht hatte. Aber dann entschied er, dass eine Bloßstellung des Fremdländers vor all seinen Leuten jenen mehr treffen würde als ein Schlag.
„Deine Tochter ist dir davon gelaufen, Barkos. Das wolltest du verheimlichen, habe ich Recht? Dass sie davon gelaufen ist, weil sie deiner Gesellschaft überdrüssig war und...“ Er beugte sich nah an das Gesicht seines Gegenüber und vollendete den Satz: „...sie vielleicht stattdessen an meiner Gesellschaft mehr Gefallen gefunden hätte!“
Damit drehte er sich zum Tor und signalisierte seinen beiden Begleitern, ihm zu folgen. Er würde Debora finden! Er musste sie finden!
Der Hausherr starrte noch auf die Pforte, als die Flügel sich längst geschlossen hatten und die Hofarbeiter sich miteinander murmelnd und verstohlene Blicke zuwerfend zerstreut hatten.
Mit
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