Der Skorpion von Ipet-Isut
jetzt in seinen Rücken bohrte und sie gewiss darüber nachzudenken begann, wie sie ihn für diese Zurückweisung strafen könnte.
Im Moment gab es weitaus wichtigere Probleme, denen Amenemhat seine Aufmerksamkeit widmen musste! Der vierte Diener Amuns von Ipet-Isut, Menkheperre, war vor über einem Monat ins Kriegslager im Delta gesandt worden, und seit über einer Woche fehlte jede Nachricht von ihm. War er tot? Hatte er mit seinen Verhandlungen bei den Gaufürsten keinen Erfolg gehabt? Weil er von Leuten des Pharao festgesetzt war, möglicherweise? Nein, das wohl nicht, dann hätte er aus anderen Quellen davon Wind bekommen, und überdies würde Ramses ihn nicht mehr hier so unbehelligt schalten und walten lassen! Der Pharao mochte ein träger alter Mann sein, aber er war noch nicht handlungsunfähig!
Amenemhat entfernte sich von den übrigen Mitgliedern des Hofstaates und stieg den schmalen Pfad in Richtung des Totentempels Pharao Setis hoch.
Einige vorbei flatternde Fledermäuse und ein sie begleitender erschrockener Schrei unterbrachen seine Gedanken. Wer schlich hier herum? Jemand mit üblen Absichten? Amenemhats Hand bewegte sich in Richtung des Dolches, den er versteckt unter seinem Schurz trug.
Sein rascher Blick erfasste zwei Personen. „He! Ihr da! Bleibt stehen!“
Frauen, wie er feststellte, als sie der Aufforderung nachkamen und sich umwandten. Eine Ältere und… Gütige Iset! Ein lebendig gewordener Feuerfunke, eine Flamme! Mit Haaren wie aus flüssigem Gold, nein, wie der glutrote Sonnenaufgang!
Die ältere Frau war auf die Knie gefallen und zog angsterfüllt auch an der Hand ihrer Begleiterin. Doch das Mädchen rührte sich nicht, stand nur da und blickte ihn an.
„Erhabener, vergib! Meine Herrin ist eine Fremde und…und…“ Tameris Zähne schlugen aufeinander; sie brachte kein weiteres Wort heraus und presste die Stirn auf den Boden.
Aber Amenemhat war viel zu sehr fasziniert von diesem Flammenhaar, um die Worte auch nur zu hören.
„Du! Komm her!“ befahl er und streckte die Hand in Deboras Richtung. „Wie ist dein Name?“
Das Mädchen war nicht fähig zu antworten. Bisher hatte sie ihren Vater für die eindrucksvollste Erscheinung aller Menschen gehalten. Aber jetzt umwogte sie eine Aura von Macht und Charisma, die ihr buchstäblich den Atem nahm. War der Mann ihr gegenüber überhaupt ein Mensch, oder doch ein aus der Anderen Welt herabgestiegener Gott? Der Sohn eines Gottes?! Seine Haut war glatt, ohne ein einziges Härchen, schien ihr, und glänzte von einem Öl mit dezentem Weihrauchduft. Das Schmuckstück auf seiner Brust zeigte eine geflügelte Götterfigur, die ihre Arme schützend ausbreitete, und in dem Leopardenfell über seiner Schulter spielte der Wind. All diese Details nahm Debora in sich auf, obwohl tatsächlich nur ein Augenblick verstrich.
„Was ist, kannst du nicht sprechen oder verstehst du mich nicht?“ Er wiederholte die Frage auf Syrisch und Hethitisch.
„Debora“, brachte sie endlich heraus. Sollte Kare Recht behalten und sie würde zu Stein erstarren? Ihre Füße fühlten sich schon ganz taub an.
Tameris Stimme klang wie von weit, weit her: „Erhabener Erster Diener Amuns, ich bitte demütig…“
„Schweig, Weib! Ich habe dir nicht erlaubt zu sprechen! – Debora“, wandte er sich ihr wieder zu, ließ die Finger über ihre Wange gleiten, dann durch ihr Haar. Sie zuckte zusammen unter der Berührung, als hätte sie sich verbrannt. Ein seltsames, ungewohntes Prickeln verbreitete sich entlang ihrer Wirbelsäule. Plötzlich rauschte ihr das Blut in den Ohren und ihr Herz hämmerte.
„Du warst hier, um dir das Fest anzusehen?“
Seine Stimme war ebenso hypnotisch wie seine Augen. Sie hielten ihren Blick fest, während der Hauch eines Lächelns über seine Lippen glitt. Aber sie kam nicht zu einer Antwort. Hinter den Felsen wurde jetzt die Gestalt eines nubischen Gardisten in Kriegspanzerung sichtbar. „Erhabener, bist du wohlauf?“ rief er.
Amenemhat fuhr herum, und wenn er über die Möglichkeit verfügt hätte, den Nubier mit seinem Blick ins Totenreich zu schicken, so wäre der Gardist in diesem Moment zu Staub zerfallen. „Sieht das nach einer Bedrohung für dich aus?!“
„Erhabener, die Königliche Gemahlin war in Sorge und sandte mich, nach dir zu sehen.“„Ich bin gerührt! Nun, wie du siehst, erfreue ich mich bester Gesundheit!“
Der Hohepriester bekam gerade noch aus den Augenwinkeln mit, wie die ältere Frau
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