Der Skorpion
liebte das Rampenlicht, das für Grayson eher eine lästige Pflicht als ein Privileg darstellte.
Rund um das Gebäude lagerten noch immer Presseleute auf der Suche nach Neuigkeiten. Sie rauchten, tranken Kaffee, ließen sich von Joelle verwöhnen, sobald sie auftauchte. In Alvarez’ Augen war es eine Monstrositätenschau, und wenn diese Rezeptionistin, dieser Gutmensch, nicht bald aufhörte, die gesamte Presseschar zu verköstigen, würden sie überhaupt nicht mehr gehen. Nicht, dass sie alle schlecht waren. Der Nachrichten-Hubschrauber hatte geholfen, eines der Opfer zu lokalisieren, und der Sheriff hatte die Presse eingespannt, um die Öffentlichkeit um Mithilfe bei der Identifizierung des Täters zu bitten. Aber bisher ohne Ergebnis.
Auf dem Weg zu seinem Fahrzeug konnte Grayson dem einen oder anderen Reporter nicht aus dem Weg gehen. Doch damit wurde er Alvarez’ Meinung nach fertig. Sie warf einen Blick zur Tür, als er mit seinem Hund hinausging.
Ja, er war ein interessanter Mann, fand sie und lächelte sogar leicht.
Tabu.
Aber waren sie das nicht alle? Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und massierte ihren verspannten Nacken. Das Dezernat brauchte dringend einen Durchbruch in diesem Fall. Wenn sie den Kerl nicht bald gefasst hatten, war mit weiteren Opfern zu rechnen. Das wusste sie. Der Druck im Magen erinnerte sie ständig daran.
Ohne den Kopfschmerz hinter ihrer Stirn und die ständig laufende Nase zu beachten, ging sie ein letztes Mal die Botschaften und alles, was einen Sinn ergeben sollte, durch: Orions Gürtel, MEIDET DEN SKORPION , der Jäger. Alles wirbelte in ihrem Kopf durcheinander, während sie zum zigsten Mal die Fotos der Opfer ansah. Schöne Frauen, die einen beinahe tödlichen Unfall erlitten hatten, entführt und am Leben erhalten worden waren. Wozu? Sexuelle Befriedigung steckte nicht dahinter. Vielleicht wollte ihr Mörder Macht ausüben, ihren Willen dem seinen unterwerfen, um sie dann irgendwann, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, gewöhnlich um den Zwanzigsten des Monats herum, im eisigen Wald zum Sterben auszusetzen.
Jetzt hatte sie richtige Halsschmerzen. Heiße Zitrone und Lutschtabletten halfen nicht mehr, ganz gleich, was im Fernseher behauptet wurde. Es war Zeit, Feierabend zu machen; allzu bald wurde es schon wieder Morgen.
Ihre Muskeln schmerzten, aber nicht vom Training, und sie bedauerte es ein wenig, dass sie nicht eine Stunde auf dem Ellipsentrainer oder dem Laufband verbringen, dann in die Sauna gehen und diese Ablagerungen in ihrer Lunge ausschwitzen konnte.
An diesem Abend musste sie sich mit einer kochend heißen Dusche in ihrer eigenen Wohnung, Tee und heißer Zitrone und einem Grippemittel für die Nacht begnügen, das sie bis zum Morgen ins Koma sinken ließ.
Es war still im Dezernat, nur wenige Leute, einschließlich Zoller, waren geblieben. Zoller betreute pflichtbewusst die Telefone des Einsatzkommandos, bis in ein paar Stunden ihre Ablösung kam. Himmel, sie mussten diesen Kerl schnappen, bevor er erneut zuschlug.
Alvarez griff nach ihrer Handtasche, wickelte sich einen Schal um den Hals und schlüpfte in ihre Jacke. Sie war ein wenig in Sorge wegen Pescoli, denn sie hatte eigentlich mit deren Kommen gerechnet. Aber sie hatte ja Probleme mit Lucky Pescoli, diesem Versager, und ihren Kindern.
Wer wollte ihr ihr Fernbleiben verübeln? Alvarez erwog, ihr eine Nachricht zu hinterlassen, entschied sich jedoch dagegen. Etwas Neues gab es ohnehin nicht zu berichten. Am kommenden Morgen würden sie sich sprechen.
Von Halsschmerzen geplagt, verließ Alvarez das Büro des Sheriffs und sah die glänzende Buchstabenkette, die Joelle in Türnähe aufgehängt hatte: Frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr.
Tja, vielleicht für den einen oder anderen, dachte sie. Sie musste husten, als sie den Parkplatz überquerte. Ihre Lungen schmerzten. Es schneite wieder einmal. Sie sah große Schuhabdrücke und eine Spur von Pfoten im frischen Schnee und dachte an Grayson und Sturgis, die der Presse entkommen waren und die einzigen frischen Spuren im Neuschnee auf dem Parkplatz hinterlassen hatten.
Unwillkürlich fragte sie sich, ob Grayson wohl heimfuhr zu dem Haus, in dem er einmal mit seiner Frau gelebt hatte. Oder kehrte er in irgendeinem Lokal am Ort zum Abendessen ein? Nein. Niemals würde er seinen Hund im Auto lassen, nicht bei diesem Wetter. Er war bestimmt auf dem Weg zu seiner rustikalen Hütte im Vorgebirge.
Als sie die Fahrzeugtür
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