Der Skorpion
Anruf erfahren hatte. Denn hier in Spokane war weiß Gott nicht alles so, wie es sein sollte.
Zane schlug seinen Jackenkragen hoch und half Jillian in den Pick-up. Sie konnte schon etwas besser laufen, den Knöchel ein wenig belasten, doch sein Beschützerinstinkt war immer noch wach, und vielleicht fühlte er sich auch ein bisschen verantwortlich für sie. Und so ungern Zane es sich eingestand, mehr als einmal war seine Fantasie in Bezug auf Jillian mit ihm durchgegangen. Er erwog, sie zu küssen und abzuwarten, wohin das führte. Er stellte sich ihre Finger auf seiner nackten Haut vor, ihren Atem an seiner Halsbeuge, ihre Brustwarzen, die sich unter seinen Berührungen aufrichteten. Er hatte sogar daran gedacht, wie es wäre, in ihre Wärme einzudringen, sich dann aber zu anderen Gedanken gezwungen, zu düstereren Gedanken, die ihn daran erinnerten, dass sie in Gefahr schwebten. Und es wäre bedeutend klüger, seine Träume zu vergessen und sie nie in die Tat umzusetzen.
Ja klar, als wäre ihm nie der Gedanke gekommen, dass es in der kommenden Nacht so weit sein könnte. Warum belügst du dich selbst, MacGregor? Du willst sie haben und die ganze Nacht lang mit ihr schlafen, schon seit dem Augenblick, als sie in deiner Hütte die Augen aufschlug und dich musterte.
Du weißt, dass sie vielleicht darauf abfahren würde.
Andererseits weißt du aber, dass es womöglich kein Zurück mehr gibt, wenn du diese Grenze überschritten hast.
»Komm«, sagte er, sah sich über die Schulter hinweg um und vergewisserte sich, dass niemand sie beobachtete. Die Dämmerung warf lange Schatten über die Stadt, Schneeflocken tanzten im Schein der Straßenlaternen. Es störte ihn, dass er sich hier in der Stadt angreifbarer fühlte als in seiner Hütte in der Wildnis.
Und wie sicher warst du dort? Ist Jillian nicht in der Nähe der Hütte überfallen worden? Ist Harley nicht knapp dreißig Meter von der Hintertür entfernt angeschossen worden?
Dennoch, Zane war von Natur aus ein Einzelgänger und brauchte sich nur zu erinnern, was in Denver passiert war, um dieser Stadt mit Misstrauen zu begegnen, so ruhig und beinahe heiter sie im Abendlicht auch wirken mochte. Bunte Lichter lenkten seinen Blick auf einen Park, und wenn er es zugelassen hätte, wäre ihm vielleicht sogar weihnachtlich zumute geworden.
Doch das wäre idiotisch. Die blinkenden Lichterketten mochten Täuschung sein. MacGregor tastete nach der Pistole, die schwer in seiner Tasche ruhte, und war dankbar für das bisschen Sicherheitsgefühl, das sie ihm vermittelte.
Wer wusste schon, was in der zunehmenden Dunkelheit dieser fremden Stadt lauerte?
»Pescoli ist nicht wieder aufgetaucht?« Sheriff Grayson war, Sturgis bei Fuß, auf dem Weg zum Ausgang. Der schwarze Labrador blickte zu Alvarez auf, und sie kraulte seinen Kopf und dachte daran, sich ebenfalls ein Haustier zuzulegen. Etwas Lebendiges, Atmendes, das sie hätscheln konnte.
»Nein«, antwortete Alvarez. »Sie hat angerufen und mir eine Nachricht hinterlassen. Ihr ist etwas dazwischengekommen. Familienangelegenheiten.«
Grayson sah müde aus. Erledigt. Er nickte. »Tja, sie hat wohl auch genug Überstunden abgeleistet«, sagte er und stülpte sich den Hut auf den Kopf. »In diesem Fall brauchen wir alle mal eine Verschnaufpause.«
»Ich fürchte, wir sind dazu gezwungen«, sagte sie.
»Schlechte Nachrichten, was diese Estes betrifft«, bestätigte er und rieb sich das Kinn. Sein abendlicher Stoppelbart knisterte unter seinen Fingern. »Unseres Wissens war sie die einzige Person, die den Killer hätte identifizieren können.«
»Ich weiß.«
»Das FBI hat Sie informiert?«
Alvarez nickte. »Chandler rief an. Ich habe den Anruf angenommen. Sie ist morgen früh zurück.«
»Wir alle«, sagte Grayson und tippte ihr leicht auf die Schulter. »Gehen Sie nach Hause, Selena.« Er lächelte andeutungsweise. »Morgen schnappen wir uns den Kerl.«
Sie lächelte ebenfalls. »Einfach so.«
»Es ist mein Ernst.«
»Schon kapiert.«
Er sah sie an, als glaubte er ihr kein Wort, dann pfiff er nach seinem Hund und ging in Richtung Ausgang weiter. Selena machte sich Gedanken über ihn, den kürzlich geschiedenen, zum Sheriff gewählten Mann. Manchmal fragte sie sich, warum gerade er gewählt worden war. Zwar war er liebenswürdig und klug, aber auch eine Art Eigenbrötler, der höchst ungern an politischen Veranstaltungen teilnahm. Das überließ er den höheren Rängen und seinem Undersheriff. Cort Brewster
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