Der Skorpion
außer Kontrolle. Die Schlucht kam näher. Pescoli tastete nach ihrem Handy, bekam es in dem Moment zu fassen, als der erste Reifen über den Steilhang rutschte und dann der zweite folgte.
In der nächsten Sekunde drehte sich die Welt um sie, während der Geländewagen den Berg hinunterstürzte. Pescoli entglitt das Handy, doch ihre Finger krallten sich um die Waffe.
Voller Schrecken, in dem Wissen, dass sie wohl sterben, ihre Kinder nie wiedersehen würde, umklammerte sie die Pistole. Falls sie diesen Unfall irgendwie überleben sollte, dachte sie in großer Angst, während ihr Herz zum Zerspringen klopfte, dann würde sie den Kerl erschießen.
Ihn mit einem Schuss in sein schwarzes Herz niederstrecken.
»Ich kann euch nur sagen, was ich weiß, und ich weiß nichts«, sagte Mason Rivers, und MacGregor glaubte ihm. Er zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass der flotte Anwalt problemlos lügen konnte, dass er schlüpfrig war wie ein Aal, doch im Augenblick sprach Mason Rivers, der Jillian fest ansah, die Wahrheit.
Und was ihn am meisten störte, war die Tatsache, dass Jillians Ex-Mann sie immer noch liebte. Er versuchte natürlich, es zu verbergen, doch es war einfach nicht zu übersehen, so wie er sie mit leicht geneigtem Kopf voller Interesse musterte, wie er immer versucht schien, ihre Hand zu berühren, als sie neben ihm saß. Und wenn er meinte, Jillian würde es nicht bemerken, dann betrachtete er sie und seufzte.
Ganz gleich, welche Probleme Mason und Jillian in der kurzen Zeit ihrer Ehe gehabt hatten, MacGregor hatte den Verdacht, dass sie nichts waren im Vergleich zu dem, was er nun mit der mürrischen, jungen, eifersüchtigen Sherice erlebte. Die landläufige Warnung »Sei vorsichtig bei dem, was du dir wünschst« ging MacGregor durch den Kopf.
Er hatte nichts gegen jüngere Frauen. Er hatte sogar zwei Freunde, deren Frauen fünfzehn Jahre jünger waren als sie, doch in beiden Fällen waren sie ihren Partnern in Intellekt und Persönlichkeit ebenbürtig. Die Ehen funktionierten. Aber er hatte noch nie erlebt, dass eine Beziehung standhielt, wenn die junge Frau nie dem Wunsch entwachsen war, ständig im Mittelpunkt zu stehen, und aus dieser Phase wollte Sherice sich offenbar nie lösen.
»Ich höre mich um«, versprach Mason, an Jillian gewandt. MacGregor sah er kaum an. Doch er fuhr seinen Computer hoch, ging ins Internet und googelte alles, was er über Aaron Caruso im Zusammenhang mit Spokane, Missoula und Washington, Idaho und Montana finden konnte. Das hatten MacGregor und Chilcoate natürlich auch schon getan, doch MacGregor wollte Mason Rivers in die Karten sehen. Noch hatte er ihn nicht völlig von seiner Verdächtigenliste gestrichen, und die Waffe in seiner Jackentasche war Beweis genug dafür, wie wenig er irgendjemandem traute, der womöglich in diese Betrügerei und den Mordversuch verwickelt war.
Doch nachdem er Rivers kennengelernt und das versonnene Funkeln in den Augen des Anwalts gesehen hatte, war MacGregor zu dem Schluss gekommen, dass Mason Rivers nicht der Gesuchte sein konnte.
Und Chilcoate hatte höchst interessante Informationen durchgegeben.
Wenige Minuten später verabschiedeten sich Jillian und MacGregor. Jillians Ex begleitete sie nach draußen und ließ sie auf dem verschneiten Gehweg zurück, um Sherice’ Lieblingsgeschäft aufzusuchen, in dessen Fenster Handtaschen und Schuhe ausgestellt waren, mit einem Schild, das »feinstes italienisches Leder« versprach. Die Fenster waren mit goldenen und silbernen Kugeln geschmückt, zwischen den Handtaschen hing Lametta und glitzerte auf dem weißen Kunstschnee.
»Weihnachten, wie schön«, sagte Jillian, sichtlich erleichtert, das Gespräch mit ihrem Ex-Mann überstanden zu haben. »Und jetzt?«
»Suchen wir uns ein Hotel?«
»Ein Hotel?«
»Mhm, mit heißem Wasser für eine anständige Dusche und Zimmerservice für ein überteuertes Essen und kabelloser Netzverbindung.«
»Netzverbindung? Wozu brauchen wir denn einen Internetzugang?«
»Um mehr über deinen ersten Mann zu erfahren.«
»Einfach so?«, fragte sie, schnippte mit den Fingern und zog eine Braue hoch.
»Na ja … so rasch geht das vielleicht nicht.« Aber im Grunde ging es darum, dass er möglichst anonym bleiben wollte. Falls Jillians Angreifer damit gerechnet hatte, dass sie ihn bis nach Spokane verfolgten, dann lag es auf der Hand, dass Masons Wohnung und seine Arbeitsstelle überwacht wurden. Und er wollte ihr mitteilen, was er durch Chilcoates
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