Der Skorpion
nahm Zane MacGregor wahr.
Ach, und wie sie ihn wahrnahm mit seinem dunklen nassen Haar, das sich auf dem Kragen des weißen Hotelbademantels kräuselte. Mehr hatte er nicht an. Die Aufschläge klafften über seiner Brust ein wenig auseinander und gaben den Blick auf schwarzes Brusthaar und gebräunte Haut frei.
Und er roch so gut.
Nach Seife und irgendeinem Parfüm und diesem frischen, sauberen Duft nach Mann, den sie schon beinahe vergessen hatte.
Zum Essen tranken sie eine Flasche rauchigen Cabernet Sauvignon. Jillian nahm ihr Weinglas mit ins Bad, ließ sich ein Schaumbad ein und entspannte sich. Sie löste das Pflaster von ihrem Knöchel, der nicht mehr annähernd so geschwollen war wie noch vor ein paar Tagen, und tauchte in das duftende warme Wasser ein.
Sie shampoonierte ihr Haar, spülte es, so gut es ging, unterm Wasserhahn aus und glaubte, aus den Augenwinkeln sekundenlang Zane am Schreibtisch oder vielmehr sein blasses Spiegelbild in der Glasscheibe gesehen zu haben. Ob er sie ebenfalls als gespenstisches Abbild in der eleganten alten Glastür sehen konnte?
Und wenn ja, wen störte es? Ihre eigenen Blicke schweiften ja auch nur zu gern zu seinen muskulösen Beinen und bloßen Füßen.
Später trank Jillian, ebenfalls in einen Bademantel gehüllt, während ihr Haar in ungebändigten Locken trocknete, den Rest des Weins mit MacGregor, der sie dann aufforderte, sich an den Schreibtisch zu setzen.
»Schau dir das mal an«, sagte er geschäftsmäßig. Sein Duft hüllte sie ein. Auf dem Bildschirm des Laptops erschienen Vergrößerungen der Fotos, die sie erhalten hatte. Chilcoate hatte sie angefertigt und per E-Mail an MacGregor geschickt.
»Ich hatte die Fotos selbst schon mit Photoshop bearbeitet«, sagte Jillian, »konnte aber nichts entdecken.«
»Du bist nicht Chilcoate«, sagte er und fügte rasch hinzu: »Gott sei Dank. Ich will dich nicht mit den Einzelheiten langweilen. Im Endeffekt ist es ihm gelungen, diese Parkuhr da mit dem Stempel des Verkehrsamts von Spokane zu vergrößern. Also ist das Foto in Spokane aufgenommen. Außerdem kann man die Buchstaben SEAU in diesem Schaufenster gespiegelt erkennen.«
Sie nickte. »Der Rest fehlt, aber offenbar ist es ein Ladenschild.«
»Genau. Was bedeutet, dass dieser Mann sich in Spokane aufhält oder zumindest aufgehalten hat, als die Fotos aufgenommen wurden.«
In Jillian erwachte ein Fünkchen Hoffnung. War es möglich? Würden sie denjenigen tatsächlich identifizieren, der sie betäubt und zum Sterben in die Eiseskälte des Waldes verschleppt hatte?
Sie betrachtete das Foto genauer, den Mann mit der Kappe. War es Aaron? Oder jemand anderer? Kam sie dem Mann auf die Spur, der die Fonds seiner Investoren gestohlen und sie selbst jahrelang im Ungewissen gelassen hatte? Oder geriet sie nur noch tiefer in den Sog eines unfassbaren Schwindels, der ihren Tod zum Ziel hatte?
Wut stieg in ihr auf. Nicht nur auf den Mann, der sie verlassen hatte, sondern auch auf die Person, die sie vernichten, umbringen und ihren Tod einem anderen perversen Sadisten in die Schuhe schieben wollte.
Als ob er spürte, was sie empfand, legte MacGregor seine Hand auf ihre Schulter. Ihre Wärme drang durch den flauschigen Frotteestoff bis in ihre Haut. Jillian versuchte, nicht zu sehr an ihn zu denken, nicht, wenn sie ihrem Ziel so nahe waren. »Sag nicht«, begann sie und wunderte sich selbst über die Emotionen, die aus ihrem Tonfall herauszuhören waren, »dass Chilcoate den Laden, diese Straßenecke in Spokane bereits gefunden hat.«
»Selbst
er
hat seine Grenzen.«
»Mach keine Witze.«
»Er hat es uns für morgen früh versprochen. Wenn wir seine Ortsangabe haben, suchen wir diese Straße sofort auf.«
»Und dann kennen wir die Stelle, an der Aaron oder jemand, der aussieht wie er, die Straße überquert hat. Das heißt nicht unbedingt, dass wir ihn finden.«
»Die Antwort auf alle Fragen ist es noch nicht, Jillian, aber immerhin ein Anfang.« Er drehte sie im Schreibtischstuhl zu sich herum. Sie sah ihm ins Gesicht, verlor sich sekundenlang in seinem Blick und stellte sich vor, sie würden über etwas völlig anderes reden. »Immerhin etwas, nicht wahr?«
»Genau.«
»Sind wir der Wahrheit näher gekommen?«, fragte er.
»Der Wahrheit?«, wiederholte Jillian mit etwas heiserer Stimme, denn im Grunde hatte sie das Gefühl, dass er gar nicht mehr über den Fall sprach. »Ja.« Sie nickte auf die unausgesprochene Frage in seinen Augen.
Zane zog wie in stummer
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