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Der Skorpion

Der Skorpion

Titel: Der Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie.
    Da lachte er, und lächelnd wandte sie sich dem Telefon auf dem Schreibtisch zu. Sie warf nicht einmal einen flüchtigen Blick durch die Tür, die er offen gelassen hatte, auch nicht, als er ein bisschen falsch mit tiefer Baritonstimme zu singen begann.
    Du verliebst dich in ihn,
warnte sie ihr Verstand nicht zum ersten Mal. An diesem Abend war es ihr gleichgültig. Sie betrachtete die getrennten Betten, ein Hinweis darauf, dass sie kein Liebespaar waren.
    Noch nicht.
    Mit zitternder Hand hob sie den Hörer ab.
    Die Nacht war noch jung.
     
    Es schneite.
    Große weiße Flocken wirbelten und tanzten im bläulichen Schein der Straßenlaternen. In der Ferne sangen Kinder Weihnachtslieder, untermalt vom Summen des Verkehrs in den Straßen der Stadt.
    Das Hotel, fünf Stockwerke hoch und voller Würde des neunzehnten Jahrhunderts, ein Wahrzeichen von Spokane, ragte hoch in den Himmel auf. Schnee sammelte sich auf Giebeln und Erkern, deckte die Dachrinnen zu. Lampen badeten die Backsteinwände in warmem Licht, und Millionen von kleinen Glühbirnchen glitzerten an Lichterketten in den kahlen Ästen der Bäume und über dem Bogeneingang des prächtigen alten Gebäudes.
    Der Spokane River rauschte dunkel vorüber, der Wind blies eiskalt über das reißende Hochwasser. Am dunklen Himmel war kein Stern zu sehen, kein Mond verstrahlte sein silbriges Licht.
    Sie
war in dem Hotel.
    Jillian Rivers … nein, Jillian Colleen White Caruso Rivers.
    Wie lange schon war mir der Name ein Dorn im Auge, ein Gift, das alles erstickt, mich unablässig heimsucht, reizt und verhöhnt?
    Ach, Jillian, du hättest schon längst sterben müssen … schon vor langer Zeit. Aber jetzt wirst du sterben.
    Ich stand vor dem Hotel und starrte auf das historische Gebäude. Zwar war es eine steinerne Festung, aber es gab Wege, die hineinführten, Schlüssel zu sämtlichen verschlossenen Türen. Schlüssel, die ich in der Vergangenheit oft genug benutzt habe, von denen ich vorausschauend Kopien angefertigt habe, Schlüssel, die wie die kalten, klaren Weihnachtsglocken in meiner Tasche klimpern.
    Wie gut, dass dieses Hotel sich den »Charme des alten Westens« bewahrt hat, einschließlich der Metallschlüssel und –schlösser und der Generalschlüssel, die die Belegschaft benutzt. Keine modernen elektronischen Kartenschlösser. Hier nicht.
    Jillian war keineswegs in Sicherheit.
    Ich sah ihr Gesicht vor mir und redete wieder einmal mit ihr: »Du wirst einen ruhigen Tod haben, Jillian. Eine intime Angelegenheit. Nicht durch einen lauten Schuss. Nein, das wäre zu auffällig, würde alles ruinieren. Ein Messer. Ja, ein Messer! Mit rasiermesserscharfer, perfekt gekrümmter Klinge: Rasch über deinen Hals gezogen, erfüllt ein Messer seinen Zweck, erzeugt einen schmalen Blutstreifen, der heiß und rot zu sprudeln beginnt, wenn du nach Luft ringst.«
    Der Gedanke weckte leise Vorfreude. Ich habe so lange auf diesen Augenblick gewartet, es so oft geplant, die Welt von ihr zu befreien, und durch den Sternmörder hatte ich endlich meine Chance bekommen.
    Aber jetzt kann ich nicht vergessen, dass sie mir wieder einmal entkommen ist.
    Du hättest sie gleich im Wald umbringen sollen. Dich vergewissern sollen, dass sie tot war. Mach nicht noch einmal den gleichen Fehler. Dieses Mal muss sie tot sein, und dann bist du endlich frei.
    »Ich werde nicht versagen«, gelobte ich mir und zitterte unwillkürlich vor freudiger Erwartung. Fühlte den Kuss der Schneeflocken auf meinen Wangen. Bald sollte meine Qual ein Ende haben.
    Ich biss mich auf die Unterlippe, tastete nach meiner Waffe und lächelte in die Dunkelheit hinein, während ich Jillian, meiner Feindin, im Flüsterton ein Versprechen gab. »Der Schnitt wird tief sein. Dein Blut wird in einem dicken, dunklen Schwall herausquellen.
    Dein Blut soll die frischen Laken beflecken, an die hundert Jahre alten Wände spritzen, sich auf dem weichen, frisch gesaugten Teppich unter deinem Kopf zu einer Lache sammeln.
    Dann bist du still. Endlich wirst du mich nicht mehr quälen.«

[home]
    30. Kapitel
    J illian hatte ganz vergessen, wie himmlisch die Zivilisation sein konnte.
    Zum ersten Mal seit ihrer Abfahrt aus Seattle speiste sie Gerichte, die nicht in einer Hütte über dem offenen Feuer zubereitet, kein geschmacksneutrales Krankenhausessen und kein rascher Imbiss in einer Kneipe waren. Sie aßen Steak, Salat und Kartoffeln, tranken trotz der Warnung auf dem Beipackzettel ihrer Schmerztabletten sogar Wein.
    Und sie

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