Der Sodom Kontrakt
unbegreiflich. Im Grunde kämpfen wir für das Gute.”
“Aber keiner sieht uns zu.”
“Was soll daran gut sein, mich umzubringen? Es ist ein Verbrechen. Ihr versündigt euch gegen das... gegen die Gebote Gottes!”
“Er weiß nicht mal welches Gebot, beruft sich aber auf die Parameter der katholischen Glaubenslehre. Wie billig.” Schmidt spuckte aus. “Wann warst du denn das letzte Mal beichten?”
Lambert redete um sein Leben. “Es... Es ist lange her, aber gleich morgen werde ich es tun. Beichten, um Vergebung bitten und eine Kerze anzünden.”
Er hatte es mit Irren zu tun und musste versuchen, den richtigen Knopf in ihren bescheuerten Gehirnen zu drücken. Zeit gewinnen. Zeit gewinnen und rauskriegen, wie sie zu manipulieren sind. Er hatte in seinem Leben schon viele Leute manipuliert. Das konnte er. Er schöpfte die Hoffnung des Verzweifelten. “Ich finde zum Glauben zurück. Gerade jetzt erhellt es mich und zeigt mir meinen künftigen Weg. Ich werde mein Leben vollständig ändern.”
“Ganz sicher wirst du das. Und wir werden dir dabei helfen. Es ist gut, dass du in der Stunde des Todes zu deinem Glauben zurück findest. Er wird dir Trost spenden.”
Lamberts Hoffnung schmolz wie Eiswürfel auf einer Bratpfanne. Hysterisch kreischte er: “Ich will nicht sterben! Verdammt noch mal, ihr habt kein Recht, mich zu töten.”
Schmidt warf ein Nylonseil über einen Querbalken. “Du solltest in dieser Stunde nicht fluchen. Auch das ist eine Sünde. Aber du hast da einen wirklich interessanten Aspekt angesprochen. Haben wir denn überhaupt das Recht, diesen Mann zu töten, Herr Schneider?”
Schneider schritt die Halle ab und betrachtete interessiert das herumliegende Gerümpel. Mit seinen handgearbeiteten englischen Schuhen trat er eine Dose weg. Scheppernd flog sie durch die Halle. Er schluckte eine Pille gegen Kopfschmerzen. “Darüber haben sich Philosophen viele Gedanken gemacht. Ich persönlich nehme einen etwas gewagten Standpunkt ein. Meine Nähe zu buddhistischen Vorstellungen darf ich als bekannt voraussetzen?”
Schmidt zog an dem Seil und knüpfte eine Schlinge. “Ist bekannt, Herr Schneider. Und ich möchte hinzufügen, Ihre diesbezüglichen Ausführungen sind von faszinierender Tiefe.”
“Schön zu hören. Also: Ich betrachte jedes Lebewesen als vollkommen gleichwertig. Ich mache keinen Unterschied zwischen Flora, Fauna oder Homo Sapiens. Jedes Wesen hat dasselbe Recht auf Leben - und natürlich Tod.”
“Das heißt, eine Ameise ist genauso viel wert wie eine Distel?”
“Das heißt es.”
“Oder eine Fliege ist genauso viel wert wie eine Rose?”
“Genau.”
“Ein Käfer ebenso viel wie ein Löwe?”
“Richtig.”
“Und ein Mensch ist nicht mehr wert als eine Mücke, ein Elefant oder ein Buchsbaumstrauch?”
“Nicht mehr. Der Keim des Lebens ist derselbe. Der Drang zur Sonne, der Wunsch zur Lebenserhaltung...”
Lambert brüllte: “Hört auf, ihr Wahnsinnigen!” Er sprang auf und rannte. Nur weg. Ansatzlos sprintete Schneider los, überholte Lambert spielend. Bevor der ausweichen konnte, trat er ihm die Beine weg. Durch den Schwung flog Lambert einen Meter durch die Luft und krachte gegen einen morschen Holzschrank, der zusammenbrach. Stöhnend lag Lambert in den Trümmern.
Schmidt rief von hinten: “Er soll zurückkommen. Ich habe alles fertig. Eine wirklich schöne Schlinge.”
Schneider zog Lambert mit einer Hand auf die Beine und schubste ihn vor sich her auf Schmidt zu. Der stand riesengroß im Halbdunkel unter der Schlinge und freute sich. Lambert dachte an einen Zyklopen, der ihn gleich fressen würde.
“Sie waren noch nicht am Ende Ihrer Ausführungen”, ermahnte Herr Schmidt Herrn Schneider.
“Wie viele Insekten töten wir jeden Sommer, ohne einen Gedanken an sie zu verschwenden?”
Lambert stand zitternd vor Schmidt, der ihm geistesabwesend über den Kopf streichelte.
“Hunderte.” Schmidt nickte heftig. “Vielleicht Tausende.”
“Wie oft reißen wir eine Blume unbedacht ab, ohne uns darum zu kümmern, dass diese Handlung ihren Tod bedeutet?”
“Oft.” Schmidt fesselte Lamberts Hände mit Plastikband. “Es heißt, man will immer woanders sein, als dort, wo man gerade ist. Aber ich will jetzt genau hier mit dir sein. Bleib schön stehen.”
“Leben heißt töten. Jeden Tag”, schwadronierte Schneider weiter. “Wir töten Pflanzen und Tiere, ohne einen Gedanken an ihre seelische Existenz zu verschwenden. Wir töten Menschen in
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