Der Sohn der Schatten
Menschen waren sich dessen immer besonders bewusst, wenn die Weisen aus dem Wald kamen, um den Beginn der neuen Jahreszeit zu verkünden. So war es auch an Imbolc in dem Jahr, als Sean und ich sechzehn waren – einem Jahr, das sich tief in meine Erinnerung eingebrannt hat. Conor kam, und mit ihm eine Gruppe von Männern und Frauen, einige in Weiß, einige in den schlichten selbst gewebten Gewändern jener, die noch in der Ausbildung sind, und sie führten tief in den Wäldern von Sevenwaters die Zeremonie zu Ehren von Brighid durch.
Sie kamen am Nachmittag, so still wie immer. Zwei sehr alte Männer und eine alte Frau, die mit einfachen Sandalen über den Waldweg gingen. Ihr Haar war in viele kleine Zöpfe geflochten und mit bunten Fäden durchzogen. Es gab jüngere Leute in den grob gewebten Gewändern, Jungen und Mädchen, und Männer in mittleren Jahren, zu denen auch mein Onkel Conor gehörte. Er hatte erst spät Gelegenheit gehabt, sich den großen Mysterien zu widmen, und war nun der Erzdruide, ein bleicher, ernster Mann von mittlerer Größe mit grauen Strähnen im langen rötlich braunen Haar. Er grüßte uns alle mit ruhiger Höflichkeit, meine Mutter, Iubdan, Liam und uns drei. Und unsere Gäste, denn mehrere Haushalte hatten sich hier zum Fest versammelt. So war Seamus Rotbart zu Besuch gekommen, ein kräftiger alter Mann, dessen schneeweißes Haar nicht mehr so recht zu seinem Namen passen wollte, und er hatte seine neue Frau mitgebracht, ein liebenswertes Mädchen, das nicht viel älter war als ich. Niamh war über diese Ehe entsetzt gewesen.
»Wie kann sie nur?«, flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand. »Wie kann sie sich zu ihm legen? Er ist so alt! Und fett. Und er hat eine rote Nase. Sieh nur, jetzt lächelt sie ihn auch noch an! Ich würde lieber sterben!«
Ich warf ihr einen etwas säuerlichen Blick zu. »Dann solltest du also lieber Eamonn nehmen, wenn du einen hübschen jungen Mann willst«, flüsterte ich zurück. »Einen besseren wirst du wohl nicht finden. Außerdem hat er große Ländereien.«
»Eamonn? Ha!«
Das war ihre übliche Antwort, wann immer ich diesen Vorschlag machte. Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, was Niamh wirklich wollte. Es gab keine Möglichkeit, das herauszufinden. Sie war anders als Sean und ich. Vielleicht lag es daran, dass er und ich Zwillinge waren, vielleicht an etwas anderem, aber wir beide hatten nie Probleme damit gehabt, uns ohne Worte zu verständigen. Es wurde sogar notwendig, den eigenen Geist mitunter gut zu bewachen, damit der andere nicht alles sofort erkennen konnte. Es war gleichzeitig eine nützliche Fähigkeit und eine Last.
Ich schaute zu Eamonn hin, der nun neben seiner Schwester Aisling stand und Conor und den Rest der Druiden begrüßte. Ich begriff nicht, was Niamh an ihm so störte. Eamonn hatte das richtige Alter – ein oder zwei Jahre älter als meine Schwester. Er sah recht gut aus, war vielleicht ein wenig ernst, aber dagegen konnte man vermutlich etwas tun. Er war gut gebaut, hatte glänzendes braunes Haar und schöne dunkle Augen. Er hatte gute Zähne. Bei ihm zu liegen wäre – nun, ich wusste wenig von solchen Dingen, aber ich stellte mir vor, dass es zumindest nicht abstoßend wäre. Und beide Familien würden diese Verbindung sehr begrüßen. Eamonn hatte sein Erbe sehr jung angetreten und besaß gewaltige Ländereien, umgeben von gefährlichem Marschland, im Osten des Landes von Seamus Rotbart und bis zum Pass im Norden hin. Eamonns Vater, der denselben Namen getragen hatte, war vor ein paar Jahren unter recht geheimnisvollen Umständen ums Leben gekommen. Mein Onkel Liam und mein Vater waren nicht immer derselben Ansicht, aber in ihrer Weigerung, über dieses Thema zu sprechen, waren sie sich vollkommen einig. Eamonns Mutter war bei Aislings Geburt gestorben. Also war Eamonn mit gewaltigem Wohlstand und großer Macht aufgewachsen, und mit einem Überfluss an einflussreichen Beratern: Seamus, der sein Großvater war, Liam, einstmals der Verlobte seiner Mutter, mein Vater, der auch irgendwie mit der ganzen Sache zu tun hatte. Es war beinahe überraschend, dass Eamonn trotzdem er selbst war und schon so jung über seine Ländereien und eine beträchtliche eigene Armee herrschte. Das erklärte vielleicht auch seinen Ernst. Ich bemerkte, dass ich ihn zu lange angesehen hatte, denn als er sein Gespräch mit einem der jüngeren Druiden beendete, schaute er mich an. Er lächelte, als wollte er meiner Einschätzung trotzen,
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