Der Sohn des Apothekers (German Edition)
gestanden
hatte. Seine Starre löste sich, als er das laute Brüllen hörte. Er machte auf
dem Absatz kehrt und hetzte aus der Küche in den Flur.
»Dort, Verdächtiger voraus!«, rief eine hektische Stimme.
Peter Warmuth wandte sich nach rechts und rannte mit großen
Sätzen die Treppen hinauf in das Obergeschoss.
»Er flieht nach oben, nehmen Verfolgung auf!«, brüllte eine
Stimme hinter ihm.
Er hetzte voran, die Schusswunde spürte er wohl schon nicht
mehr. Er nahm drei Stufen auf einmal, bis er ganz oben unter dem Dach ankam.
Er erreichte den Speicher und rannte zu dem Dachfenster auf der
Westseite. Draußen trampelten Stiefel die Treppenstufen hinauf. Er öffnete das
Fenster und schob eine Kiste unter die Öffnung. Mit letzter Kraft zog er sich
hinauf und kletterte hinaus. Aus den Augenwinkeln erkannte er den schwarz
gekleideten Polizisten, der sich, eine Maschinenpistole im Anschlag, in den
Speicher vortastete.
»Er ist auf dem Dach!«, rief der Polizist.
Peter Warmuth richtete sich auf und balancierte über die
Ziegel. Beinahe sieben Meter hoch erstreckte sich das Dach zur Straße hin. Aber
wenn er es bis zum südlichen Ende schaffte, konnte er über den Balkon und die
Garagendächer entkommen. Er ließ alle Vorsicht außer Acht und rannte über die
glatten Ziegel. Plötzlich erfasste ihn ein Scheinwerfer.
»Geben Sie auf!«, hallte es durch ein Megaphon. »Sie haben
keine Chance! Gehen Sie zurück zum Dachfenster!«
Peter Warmuth verlangsamte seine Schritte, schließlich blieb er
stehen. Das Haus war umstellt. Er schaute nach unten in das gleißend helle
Licht des Scheinwerfers.
»Gehen Sie zurück!«, befahl die Stimme noch einmal.
Er zögerte, schließlich wandte er sich um, kam ins Straucheln,
verlor den Halt. Er kippte vornüber. Mit dem Kopf voraus rutschte er die Ziegel
hinab, bis das Dach endete. Verzweifelt versuchte er sich festzuhalten, doch
seine Finger griffen ins Leere. Er schrie gellend auf, als er fiel.
Epilog
Peter Warmuth überlebte den Sturz vom Dach, aber er blieb
von der Halswirbelsäule bis in die Beine gelähmt.
Stefan Scheering wurde mit einer schweren Schädelprellung und
einem Kieferbruch in das Gefängniskrankenhaus nach Lingen eingeliefert und vier
Wochen später in die JVA Celle verlegt, wo er auf seinen Prozess wartete. Im
Rahmen der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die DNA-Spur am Rucksack von
ihm stammte, so dass er es vorzog, die Gunst der Stunde zu nutzen und zu reden.
In seiner Vernehmung erzählte er, was damals vor mehr als drei Jahren im Wald
am Bannsee passiert war. Er beschuldigte Peter Warmuth, der ausgerastet war,
als die Mädchen sich gegen seine Annäherungsversuche zur Wehr setzten. Auch bei
dem Überfall auf den Journalisten war Peter die treibende Kraft gewesen. Ein
Foto am Bokenloher Baggersee war dem Journalisten zum Verhängnis geworden, denn
er hatte den schwarzen Toyota der Täter fotografiert.
Eine Woche nach der Vernehmung von Stefan Scheering wurden die
Leichen der vermissten Radfahrerinnen aus einer Grube am See unweit von Verden
geborgen, beinahe sechzig Kilometer vom Tatort entfernt.
Trevisan war überrascht, wie gut er die Stunden in der
Gewalt der Mörder von Tennweide überstanden hatte und auch an Lisa schien die
Geiselnahme spurlos vorübergegangen zu sein. Im ganzen Kriminalamt gab es
niemanden, dem sie die Geschichte von der Festnahme der Täter in Tennweide
nicht mit blumigen Worten und mit allerlei Ausschmückungen erzählte. Und Hanna
war froh, dass die Sache glimpflich für ihre Kollegen, vor allem aber für
Trevisan ausgegangen war.
Sarah Meierling hatte am nächsten Tag angerufen und nach
Trevisan verlangt. Sie erzählte ihm von ihrem Stiefbruder, wie er die Familie
unter Druck gesetzt hatte und selbst vor einer Vergewaltigung seiner
Halbschwester nicht zurückschreckte. Das war damals der Grund gewesen, dass sie
dem Dorf so eilig den Rücken gekehrt hatte. Wenn du auspackst, denke daran,
dass ich deine Mutter habe, hatte er ihr gedroht und sie hatte geschwiegen.
*
Es war Sonntag, als Trevisan nach Langenhagen fuhr, um Paula
abzuholen, die von ihrem Trip aus Irland zurückgekehrt war und eine Woche zu
Hause verbringen sollte. Trevisan hatte Urlaub genommen und Engel hatte selbstverständlich
zugestimmt. Trevisans Vorgesetzter war froh, dass niemand seiner Leute verletzt
worden war, und verschwieg, dass er anfangs gezögert hatte, das SEK zu alarmieren.
Als Paula voller Freude zu Trevisan in den Wagen
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