Der Sohn des Apothekers (German Edition)
Vielleicht hätte man da mal richtig Ernst machen müssen, aber ihr
kennt doch unsere Justiz. Bevor man einen umbringt, passiert nichts.«
Hanna fuhr sich durch ihre langen Haare. »Würden Sie den beiden
zutrauen, jemanden umzubringen?«
Der Kollege zögerte. »Normalerweise sind die harmlos, aber wenn
sie getrunken haben, sind sie unberechenbar.«
Hanna bedankte sich und bat um Übersendung der Haftbefehle.
Erneut warf sie einen Blick auf die Uhr. Es war beinahe halb zehn. Engel war
längst schon zu Hause. Sie überlegte, was sie noch tun konnte, schließlich fiel
ihr Oberkommissar Klein ein. Sie suchte die Telefonnummer aus der Akte.
Bedächtig wählte sie und nach dreimaligen Klingeln ertönte eine tiefe, brummige
Stimme.
»Hier spricht Hanna Kowalski vom LKA, mein Kollege Trevisan
wollte mit Ihnen reden, könnte ich …«
»Der ist schon seit über einer Stunde weg«, antwortete Klein.
»Wissen Sie, wohin er gegangen ist? Ich kann ihn per Handy
nicht erreichen.«
»Da war noch eine Kollegin bei ihm, ich glaube, die wollten zu
Rosi, ich meine Frau Meierling, hier im Ort.«
Hanna biss sich auf die Lippen. »Hören Sie, Herr Klein. Ich
weiß, dass ich angesichts der Situation viel von Ihnen verlange, aber meine
Kollegen könnten sich in ernsthafter Gefahr befinden. Ich müsste umgehend
wissen, ob sie noch in Tennweide sind. Nur habe ich keine Ahnung, welchen Wagen
er fährt. Es muss ein …«
»Ich habe ihn wegfahren sehen«, fiel ihr Klein ins Wort. »Und
ich bin auch immer noch Polizeibeamter. Ich rufe Sie zurück, wenn Sie mir die
Nummer geben.«
»Passen Sie auf, lassen Sie sich nicht sehen«, mahnte Hanna.
»Nur der Wagen, bitte!«
»Keine Angst, ich weiß, was ich tue«, antwortete Klein und
legte auf.
*
Er hielt Lisa im Würgegriff und drückte ihr ein Stilett an
den Hals. Ihre Augen waren schreckensstarr geweitet, sie war zu keiner Bewegung
fähig. Trevisan nahm langsam die leere Hand aus seiner Jacke und streckte dem
jungen Mann, der keine zwei Meter vor ihm stand, die Handflächen entgegen.
»Mach keinen Scheiß, Bulle!«
Trevisan versuchte angesichts der Bedrohung seiner jungen
Kollegin ruhig zu bleiben. »Ganz vorsichtig«, sagte er leise.
Der junge Mann trug eine Jeans und ein dunkles Kapuzenshirt.
Eine dunkle Strähne fiel in seine Stirn. Er hatte etwa Trevisans Figur. Eine
Narbe prangte an seiner rechten, unrasierten Wange. Ein Schneidezahn war abgebrochen,
nur noch der dunkle Stummel war zwischen seinen Lippen zu erkennen. Trevisan
dachte an die Zeichnungen von Sven Thiele, zweifellos stand ihm hier der
Schatten gegenüber. Margot hatte sich nicht getäuscht. Dieser Schatten war
real, ein Mensch aus Fleisch und Blut.
»Er … er ist mein Sohn«, stammelte Rosi Meierling leise.
»Halt die Klappe«, fuhr sie der junge Mann an. »Halt bloß deine
dumme Fresse.«
Der Kerl war sichtlich nervös und Trevisan versuchte die
angespannte Situation zu entschärfen, in dem er einen Schritt zurückging.
»Bleiben Sie ruhig und niemandem wird etwas passieren«, sagte
er besänftigend. »Lassen Sie meine Kollegin los und wir werden einfach gehen.«
»Was willst du, du Wichser, du glaubst wohl, du kannst mich
verarschen«, zischte er. »Niemand geht hier, ich kenne euch. Sobald ihr draußen
seid, kommen die Kerle mit den schwarzen Helmen. Bleib bloß ruhig und nimm langsam
deine Knarre raus, sonst stech ich die Nutte ab, klar?«
Trevisan nickte stumm und fasste langsam mit spitzen Fingern
unter seine Jacke. Vorsichtig nahm er seine Heckler und Koch aus dem
Schulterhalfter und hielt sie in die Höhe.
»Wirf sie rüber!«
Trevisan schüttelte den Kopf und legte sie neben sich auf den
Küchenstuhl. »Das ist zu gefährlich, sie kann losgehen, wenn sie zu Boden
fällt. Wäre nicht das erste Mal.«
»Du willst mich wohl verarschen«, antwortete Rosis Sohn. »Geh
in die Ecke, los!« Er drückte das Messer noch ein Stück tiefer an Lisas Hals,
so dass ihre Haut nachgab, und dirigierte Trevisan nach links in Richtung Küchenschrank.
Lisa stöhnte.
»Peter, hör auf damit«, stammelte Rosi Meierling.
»Halt die Klappe.« Er wandte sich Trevisan zu, der direkt am
Küchenschrank angekommen war. »Bleib stehen, genau da, und keinen Mucks!«
Trevisan hob beschwichtigend die Hände. »Was haben Sie davon?
Meine Kollegen wissen Bescheid. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie hier
auftauchen.«
Peter Warmuth schob Lisa vor sich her und ging auf den
Küchenstuhl zu, auf dem Trevisan seine Dienstwaffe
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