Der Sohn des Azteken
begrüßte: »Ayyo, Vetter Yeyac.«
»Yéyactzin«, verbesserte er mich hochmütig. »Ayyo, Tenamáxtli. Wir haben dich erwartet.«
»Es sieht ganz danach aus«, erwiderte ich und blickte mich nach den vier anderen bewaffneten Kriegern um, die alle das mit Obsidian besetzte Maquáhuime trugen. Ich vermutete, daß es sich um seine derzeitigen Cuilóntin-Liebhaber handelte, unterließ jedoch eine entsprechende Bemerkung. Ich fragte nur: »Woher wußtest du, daß ich kommen würde?«
»Ich habe meine Mittel und Wege«, erwiderte Yeyac. Ein Donnergrollen begleitete seine Worte und verlieh ihnen etwas Drohendes. »Natürlich hatte ich keine Ahnung, daß mein geliebter Vetter auf dem Weg nach Hause ist, doch jetzt sehe ich, daß die Beschreibung ziemlich zutreffend war.«
Ich lächelte, obwohl mir nicht danach zumute war. »Hat unser Urgroßvater seine Gabe der Vorausschau eingesetzt?«
»Der alte Canaútli ist schon lange tot.« DieTlalóque zerschlugen bei dieser Offenbarung mit ohrenbetäubendem Lärm noch mehr himmlische Wasserkrüge. Als ich Yeyac wieder hören konnte, fragte er: »Wo ist der Rest? Dein Sklave und die Pferde der Spanier?« Meine Unruhe wuchs. Wenn Yeyac keinen Aztécatl-Hellseher hatte, der ihn beriet, wer hatte ihn dann so gut informiert? Mir fiel auf, daß er von ›Spaniern‹ gesprochen und nicht das Wort Caxtiltéca benutzt hatte, mit der in Aztlan früher die Weißen bezeichnet worden waren. Ich erinnerte mich an mein Unbehagen über die Nachricht, daß Gouverneur Guzmán die Hauptstadt seiner Provinz so nahe bei Aztlan gegründet hatte. »Es tut mir leid zu hören, daß unser Urgroßvater gestorben ist«, sagte ich ruhig. »Aber ich bedaure, Vetter Yeyac, ich werde nur unserem Uey-Tecutli Mixtzin Bericht erstatten, nicht dir oder einem anderen von niedrigerem Rang. Ich habe vieles zu berichten, was zunächst nur der Verehrte Statthalter hören darf.«
»Dann berichte es auf der Stelle!« rief er. »Ich, Yéyactzin, bin der Uey-Tecútli von Aztlan!«
»Du? Unmöglich!« stieß ich hervor. »Mein Vater und deine Mutter sind nicht nach Hause zurückgekommen, Tenamáxtli.« Ich zuckte zusammen, und Yeyac fügte hinzu. »Ich bedaure, dich mit so vielen traurigen Nachrichten empfangen zu müssen.« Doch er wich bei seinen Worten meinem Blick aus. »Wir haben erfahren, daß man Mixtzin und Cuicáni tot aufgefunden hat. Offenbar sind sie von Räubern erschlagen worden.« Es war traurig, das zu hören. Doch ich wußte, wenn mein Onkel und meine Mutter tatsächlich tot waren, dann nicht von der Hand Fremder. Die Blitze und Donnerschläge ließen mir Zeit, mich zu fassen. Schließlich sagte ich: »Was ist mit deiner Schwester und ihrem Gemahl – wie heißt er noch? Ach ja, Káuri. Mixtzin hatte sie zu Regenten ernannt.«
»Ayya, dieser Schwächling Káuri!« Yeyac lachte höhnisch. »Er war kein Kriegsherr, nicht einmal ein geschickter Jäger. Eines Tages hat er hier in diesen Bergen auf der Jagd einen Bären verwundet und ihn unklugerweise verfolgt. Der Bär hat ihn natürlich angegriffen und in Stücke gerissen. Die Witwe Améyatzin war daraufhin bereit, sich häuslichen Beschäftigungen zuzuwenden und mir die Last des Regierens zu überlassen.« Ich wußte, auch das war gelogen, denn meine Cousine Améyatl kannte ich noch viel besser als Yeyac. Sie hätte selbst einem richtigen Mann niemals freiwillig ihre Stellung überlassen und erst recht nicht diesem Abklatsch von einem Mann, den sie immer verspottet und verachtet hatte.
»Genug jetzt, Tenamáxtli!« rief Yeyac. »Du wirst dich meinen Befehlen fügen!«
»Ach ja? So wie du dich dem weißen Gouverneur Guzmán fügst?«
»Nicht mehr …«, antwortete er unüberlegt. »Der neue Gouverneur, Coronado …«
Er biß sich auf die Lippen, aber es war zu spät. Ich wußte, was ich wissen wollte. Die vier spanischen Reiter waren nach Compostela gekommen, um Guzmán gefangenzunehmen. Sie hatten erwähnt, daß sie mir und Zehenspitze unterwegs begegnet waren. Vielleicht mißtrauten sie inzwischen der Legitimität meiner kirchlichen ›Mission‹ und hatten ihre Zweifel geäußert. Es spielte keine Rolle, ob Yeyac in Compostela gewesen war oder es später erfahren hatte. Er hatte sich eindeutig mit den Weißen verbündet. Was das sonst noch bedeuten mochte – hatte sich etwa ganz Aztlan mit allen seinen Azteca und Mexica ebenfalls unter das spanische Joch begeben? –, würde ich zu gegebener Zeit feststellen. Im Augenblick mußte ich mich nur mit
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