Der Sohn des Azteken
zu begleiten. Ich ritt, und sie liefen jeweils zwei auf einer Seite neben meinem Pferd her. Zehenspitze bildete die Nachhut.
Als das Donnern eine Weile aussetzte, beugte ich mich aus dem Sattel und sagte zu dem Mann, der am linken Steigbügel ging: »Gib mir dein Maquáhuitl.« Er reichte es mir gehorsam, und ich sagte: »Du hast gehört, daß Yeyac mir von den Todesfällen erzählte, die ihn sehr praktisch und ganz zufällig zum Uey-Tecútli von Aztlan gemacht haben. Wieviel von dem, was er gesagt hat, entspricht der Wahrheit?« Der Mann hustete und versuchte, Zeit zu gewinnen. »Euer Urgroßvater, unser Geschichtserinnerer, ist an Altersschwäche gestorben, wie es allen geht, die alt werden.«
»Das glaube ich. Aber das hat nichts mit Yeyacs wundersam schnellem Aufstieg zum Rang des Verehrten Statthalters zu tun.« Er hielt den Blick gesenkt und reagierte nicht auf meine Bemerkung. »Ich glaube ebenfalls, daß alle Menschen sterben müssen, aber ich warne dich, manche sterben früher als andere. Was ist mit den anderen Todesfällen? Was geschah mit Mixtzin, Cuicántzin und Káuritzin?«
»Es war genau so, wie Yeyac gesagt hat«, erwiderte der Mann. Doch er wich wie Yeyac meinem Blick aus. »Euer Onkel und Eure Mutter sind von Räubern überfallen worden …«
Er kam nicht weiter. Mit einem Schlag trennte ich ihm mit seinem eigenen Obsidianschwert den Kopf von den Schultern. Er fiel in den Wassergraben neben dem Weg. Als der nächste Donnerschlag verhallt war, wandte ich mich an den Krieger auf der anderen Seite meines Sattels. Er sah mich mit hervorquellenden Augen an, wie ein Frosch, der gerade zertreten wird.
»Wie gesagt, manche Menschen müssen früher sterben als andere. Ich möchte nicht gerne Tlaloc um Hilfe bitten, der im Augenblick mit einem Gewitter beschäftigt ist, wenn ich die Sache ebensoleicht selbst erledigen kann.« Als habe Tlaloc mich gehört, ließ das Gewitter nach. »Also, was hast du mir zu sagen?« Der Mann begann zu stottern und stieß schließlich hervor: »Yeyac hat gelogen, und Quani auch.« Er wies rückwärts auf die Leiche im Graben. »Yéyactzin hatte an den Grenzen von Aztlan Posten stationiert, die auf Mixtzin, seine Schwester und Euch warteten. Als die beiden aus Tenochtitlan zurückkamen … nun ja … da gerieten sie in einen Hinterhalt.«
»In einen Hinterhalt!« wiederholte ich zornig. »Wer war daran beteiligt?«
»Yeyac natürlich … und sein ganz besonderer Günstling Quani. Das war der Krieger, den Ihr gerade erschlagen habt. Ihr seid gerächt, Tenamáxtzin.«
»Das bezweifle ich.« Der Kerl gefiel mir ebensowenig wie der andere. »In der EINEN WELT gibt es keine zwei Männer, die es geschafft hätten, meinen Onkel Mixtzin zu überwältigen, und sei es auch durch einen feigen Überfall aus dem Hinterhalt.« Ich führte wieder einen Streich mit dem Maquáhuitl. Der Kopf des Mannes und sein Körper fielen getrennt voneinander in das nasse Gestrüpp auf dieser Seite des Weges.
Ich drehte mich wieder um und wandte mich an den verbliebenen Krieger zu meiner Linken. »Ich warte immer noch darauf, die Wahrheit zu hören. Wie dir vielleicht aufgefallen ist, warte ich nicht lange.« Der Mann lallte beinahe vor Entsetzen. »Ich sage die Wahrheit, Herr. Ich küsse die Erde. Wir waren alle schuldig. Yeyac und wir vier haben im Hinterhalt gelegen. Wir sind alle zusammen über Euren Onkel und Eure Mutter hergefallen.«
»Was ist mit Káuri, dem Mitregenten?«
»Weder er noch sonst jemand in Aztlan wußte etwas von Mixtzins und Cuicántzins Schicksal. Wir haben Káuritzin überredet, mit uns in den Bergen auf Bärenjagd zu gehen. Er hat ganz allein und sehr mutig mit dem Speer einen Bären erlegt. Aber dann haben wir Káuri getötet und die Leiche mit den Zähnen und Klauen des Bären zerrissen. Als wir mit den Überresten und dem toten Bären nach Hause kamen, konnte die Witwe, Eure Cousine Améyatzin, kaum an unserer Geschichte zweifeln. Wir brachten ihr sozusagen den Beweis dafür, daß der Bär für den Tod ihres Mannes verantwortlich war.«
»Und dann? Habt ihr feigen Verräter sie auch umgebracht?«
»Nein, nein, Herr! Sie lebt. Ich küsse die Erde. Aber sie lebt jetzt zurückgezogen und ist nicht mehr Regentin.«
»Wieso? Wartet sie darauf, ihr Vater werde zurückkommen und seinen Platz wieder einnehmen? Warum sollte sie die Regentschaft abgetreten haben?«
»Wer kann das sagen, Herr? Vielleicht aus Trauer über ihre Witwenschaft. Vielleicht aus tiefer Trauer über
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