Der Sohn des Azteken
Austern, Herzmuscheln, Abalone, Schildkröten und Schildkröteneier, Garnelen und Panzerkrebse. Manchmal gelang es ihnen nach heftigen und langen Kämpfen, bei denen gewöhnlich ein oder mehrere Fischer ertranken oder verletzt wurden, einen Yeyemichi an Land zu bringen. Das ist ein riesiger grauer Fisch – manche so groß wie ein Palast –, und es lohnt sich, ihn zu erlegen. Für uns, die Bewohner von Aztlan, gab es dann einen Überfluß köstlicher Filetstücke, die man aus einem einzigen dieser gewaltigen Fische herausschneiden konnte. Im Meer gab es auch Peri-Austern, doch wir ernteten sie nicht. Über den Grund dafür werde ich später sprechen.
An Gemüsen gab es außer den zahlreichen eßbaren Arten von Seetang und Algen eine Vielfalt von Sumpfpflanzen. Überall wuchsen Pilze, manchmal sogar an unerwünschten Stellen, etwa auf den immer feuchten Lehmfußböden unserer Häuser. Das einzige Grün, das wir tatsächlich anpflanzten, war Picietl, das getrocknet und dann geraucht wurde. Aus dem Fleisch der Kokosnüsse wurden unsere Süßigkeiten zubereitet. Vergorene Kokosmilch ergab ein sehr viel stärker berauschendes Getränk als das überall sonst in der EINEN WELT so beliebte Octli. Eine andere Palmenart schenkte uns die Coyacapúli-Früchte. Das Mark einer dritten Art wurde getrocknet und zu wohlschmeckendem Mehl zermahlen. Wieder eine andere Palmenart lieferte Fasern, aus denen Stoffe gewebt wurde. Haifischhaut ergab das feinste, dauerhafteste Leder, das man sich wünschen konnte. Die Pelze von Seeottern lagen als Decken auf unseren weichen Lagern und wurden für jene, die in die hohen kalten Berge im Inland wanderten, zu Umhängen verarbeitet. Das Öl von Kokosnüssen und Fischen diente als Brennstoff für unsere Lampen. Ich gebe zu, für jeden, der an den Geruch dieser Öle nicht gewöhnt ist, muß es in unseren Häusern entsetzlich gerochen haben. Als die Handwerksmeister der Mexica ihren ersten Rundgang durch Aztlan machten, um zu sehen, was sie zur Verschönerung und Verbesserung der Stadt beitragen konnten, muß es ihnen schwergefallen sein, nicht laut zu lachen oder die Nase zu rümpfen. Mit Sicherheit fanden sie unsere Vorstellung von einem ›Palast‹ einfach lächerlich. Der einzige, der Mondgöttin Coyolxáuqui geweihte Tempel der Insel war nicht prächtiger als der Palast meines Onkels, wenn man davon absah, daß in den Putz um seinen Eingang kunstvoll die Schalen verschiedener Seemuschelarten eingelassen waren. Immerhin, das, was sie vorfanden, entmutigte die Handwerker nicht. Sie machten sich sofort an die Arbeit. Zuerst suchten sie einen Platz, wo sie für sich und ihre Familien Behelfsunterkünfte bauen konnten, und fanden in einiger Entfernung von Aztlan eine verhältnismäßig trockene, flache Bodenerhebung. Die Frauen übernahmen die meiste Arbeit beim Bau der Häuser und benutzten dazu alles, was gerade zur Hand war: Schilf, Palmblätter und Lehm. Die Männer erkundeten das Land in Richtung Osten und hatten keinen weiten Weg zurückzulegen, bis sie die Berge erreichten. In den Wäldern fällten sie Eichen und Kiefern und schleppten die Stämme hinunter ins flachere Land an das Ufer eines Flusses. Dort wurden sie gespalten, gebrannt, behauen und zu Acáltin zusammengefügt, die sehr viel größer waren als alle unsere Fischerboote. Sie waren groß genug, um schwere Lasten zu befördern. Diese Lasten kamen ebenfalls aus den Bergen, denn einige der Männer waren erfahrene Steinhauer, die Kalksteinlager suchten, Steinbrüche anlegten und große Quader und Platten brachen. Die Steine wurden an Ort und Stelle grob behauen und geglättet, dann in die Acáltin geladen, die den Fluß hinunter zum Meer fuhren, und dort an der Küste entlang bis zu dem schmalen Arm gebracht, der zu unserem See führte. Die Steinmetze glätteten die ersten ankommenden Steine weiter, polierten sie und bauten daraus, wie es sich gehörte, einen neuen Palast für Onkel Mixtzin. Nach seiner Fertigstellung konnte er sich wahrscheinlich nicht mit einem der Paläste in Tenochtitlan messen, doch in unserer Stadt war es ein Gebäude, das man bestaunte. Der Palast hatte zwei Stockwerke und ein stufenförmig zurückspringendes Dach, das ihn noch einmal so hoch machte. Es gab darin so viele Räume, einschließlich eines eindrucksvollen Thronsaals für den Uey-Tecútli, daß sogar Yeyac, Améyatl und ich eigene Zimmer hatten. Damals war das in Aztlan etwas Unvorstellbares, vor allem, wenn es sich um Kinder im Alter von zwölf,
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