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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Dienern, und funkelnde Juwelen schmückten seine Hände. Er trug nicht nur den neuen, edlen Namen Tlilectic-Mixtzin, Dunkle Wolke, sondern auch den Titel Uey-Tecutli, Verehrter Statthalter, und war somit ein ›Herr‹, ein Edelmann.
    Sofort bei seiner Ankunft, denn die gesamte erwachsene Bevölkerung hatte sich versammelt, um ihn in seiner neuen Herrlichkeit zu sehen und zu bewundern, sprach er zu seinem Volk. Ich kann seine Worte ziemlich genau wiederholen, denn Canaútli lernte sie auswendig und wiederholte mir die ganze Rede, als ich alt genug war, sie zu verstehen.
    »Mitglieder der Azteca«, begann der Uey-Tecútli Mixtzin laut und entschlossen. »An diesem geschichtsträchtigen Tag beleben wir von neuem die lange vergessenen Familienbande mit unseren Vettern, den Mexica, dem mächtigsten Volk der EINEN WELT. Von nun an sind wir eine Kolonie dieser Mexica. Ich kann euch versichern, wir sind eine wichtige Kolonie, denn die Mexica hatten bisher so weit im Norden von Tenochtitlan keinen Vorposten und kein Bollwerk am Westmeer. Und wir werden ein uneinnehmbares Bollwerk sein!« Er wies auf sein stattliches Gefolge. »Die Männer, die mich begleiten, sind nicht nur gekommen, um meine Rückkehr zu einem eindrucksvollen Ereignis zu machen.
    Sie und ihre Familien werden sich bei uns niederlassen. Aztlan wird ihre Heimat sein, wie es einst die Heimat ihrer Vorväter war. Jeder dieser Getreuen – von den Kriegern bis zu den Wortkundigen – wurde wegen seines Könnens und seiner Erfahrung in den verschiedenen Künsten und Handwerken ausgewählt. Sie werden euch zeigen, was diese entfernteste Bastion Tenochtitlans sein kann. Und ich frage euch: Was kann sie sein? Ich werde euch die Antwort geben: ein kleines Tenochtitlan, das stark, zivilisiert, kultiviert und stolz in die lange und glückliche Zukunft blicken kann, die vor uns allen liegt.« Seine Stimme hob sich noch mehr, als er gebieterisch fortfuhr: »Ihr werdet alle auf eure Lehrer hören und ihnen folgen. Wir in Aztlan werden nicht länger träge und unwissende Fischer ohne Manieren sein und uns mit diesem einfachen Leben zufriedengeben. Von diesem Tag an werdet ihr alle, Männer, Frauen und Kinder, lernen und arbeiten. Ihr werdet euch um das neue Wissen bemühen, bis wir in jeder Hinsicht auf einer Höhe mit unseren bewundernswerten Mexica-Vettern stehen.« Ich erinnere mich nur undeutlich daran, wie Aztlan in jener Zeit aussah, denn ich war schließlich noch ein Kind. Und ein Kind achtet oder verachtet seine Heimatstadt nicht, nimmt sie nie als prächtig oder armselig wahr. Sie ist vertraut und das, woran es gewöhnt ist. Doch entweder dank bruchstückhafter Erinnerungen oder dank dessen, was man mir in späteren Jahren erzählte, kann ich recht gut beschreiben, in welchem Zustand sich die Heimat der Schneereiher befand, als jener andere Tliléctic-Mixtli, der Forschungsreisende, sie betrat. Zum einen besaß der Palast, in dem mein Tlatocapili-Onkel und seine beiden Kinder lebten – außerdem ich und meine Mutter, denn sie führte ihm nach dem Tod seiner Frau den Haushalt –, eine größere Zahl von Räumen, aber nur ein Stockwerk. Das Gebäude bestand aus Holz, Schilf und Palmblättern. Ein Putz aus zerstoßenen Muschelschalen ›schmückte‹ die Wände und verlieh ihnen einen gewissen Halt und Festigkeit. Die übrigen Wohn- und Handelshäuser von Aztlan waren, wenn man das glauben darf, noch sehr viel weniger widerstandsfähig und hübsch gebaut.
    Die Stadt lag auf einer ovalen Insel in der Mitte eines ausgedehnten Sees. Er war nicht durch klar gezogene Ufer begrenzt. Das brackige, ungenießbare Salzwasser wurde immer seichter und ging auf allen Seiten in Sumpfland über, an das sich im Westen das Meer anschloß. Aus den Sümpfen stiegen feuchte Nachtnebel auf, die von lästigen Insekten und möglicherweise von bösen Geistern bevölkert wurden. Meine Tante war nur eine unter vielen, die Jahr für Jahr von einem heimtückischen Fieber dahingerafft wurden. Unsere Ärzte behaupteten, dieses Fieber sei irgendwie auf die Sümpfe zurückzuführen.
    Ungeachtet unserer Rückständigkeit auf vielen Gebieten gab es für uns Azteca stets viel und gut zu essen. Hinter dem Sumpfland lag das Westmeer. Dort fingen unsere Fischer mit Netzen, Leinen und Haken nicht nur die gewöhnlichen und in großer Zahl vorhandenen Fische wie Rochen, Schwertfisch, Plattfisch sowie Tintenfisch und Krabben, sondern auch köstliche Delikatessen, die sie zum Teil vom Meeresboden lösten:

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