Der Sohn des Azteken
beendete ich die Aufzählung für ihn, »das Verbrennen.«
»Nein.« Der Notar schüttelte den Kopf. Er wirkte inzwischen leicht betreten. »Nur das Kirchengericht, die Inquisition, kann dieses Urteil verhängen. Es ist sogar die einzige Art Hinrichtung, welche die Kirche anordnen kann. Verstehst du, die Kirche ist verpflichtet, Zauberer, Hexen und Ketzer wie diesen Juan Damasceno zu bestrafen, aber es ist ihr verboten, Blut zu vergießen. Deshalb ist im Kirchenrecht festgelegt, wie solche Menschen hinzurichten sind. Wie du gesehen hast, durch das Feuer und nur durch das Feuer.«
»Ich verstehe«, sagte ich. »Ja, Gesetze muß man befolgen.«
»Es freut mich, dir sagen zu können, daß solche Urteile nur selten vonnöten sind. Es ist drei Jahre her, daß an dieser Stelle ein Marrano verbrannt wurde, weil er den Glauben auf ähnliche Weise verhöhnt hatte.«
»Verzeihung, Cuati Alonso«, fragte ich. »Was ist ein Marrano?«
»Ein Jude. Das heißt jemand, der einmal Jude war und zum Christentum übergetreten ist. Und Hernando Halevi de Leon schien ein aufrichtig Bekehrter zu sein. Er hat sogar Schweinefleisch gegessen. Deshalb verlieh ihm die Krone auch eine eigene einträgliche Encomienda in Actópan, nördlich von hier. Ihm wurde gestattet, die schöne Isabel de Aguilar zu heiraten, die Tochter einer der besten spanischen Familien. Doch dann stellte man fest, daß der Marrano seiner Gemahlin Doña Isabel verbot, während ihrer monatlichen Blutungen die Messe zu besuchen. Offensichtlich war er ein scheinheiliger Bekehrter, der insgeheim immer noch die ketzerischen Gebote des jüdischen Glaubens befolgte.«
Ich verstand nichts von alldem und wandte mich deshalb wieder dem Thema zu, das mir näherlag. »Der Mann heute, Cuati … Ihr scheint nicht glücklich darüber gewesen zu sein, daß er verbrannt wurde.«
»Ayya, täusche dich nicht«, erwiderte er schnell. »Nach allen Glaubensgrundsätzen, Gesetzen und Regeln unserer Kirche hatte dieser Damasceno sein Schicksal zweifellos verdient. Das will ich nicht in Abrede stellen, keineswegs. Es ist nur … nun ja, im Laufe der Jahre war mir der alte Mann beinahe ans Herz gewachsen.« Er blickte ein letztes Mal auf die Asche. »Und jetzt, Cuati Tenamáxtli, mußt du mich entschuldigen. Ich habe Pflichten. Aber ich werde mich gern wieder mit dir unterhalten, wann immer du in der Stadt bist.«
Ich war seinem Blick auf die Asche gefolgt und hatte bemerkt, daß außer dem Metallpfahl und der Kette noch etwas das Feuer überstanden hatte. Es war der Anhänger, der mir schon vorher an der Lederschnur um den Hals des Mannes aufgefallen war, weil sich die Sonnenstrahlen darin brachen.
Der Notarius Alonso wandte sich ab, und ich bückte mich schnell und hob den Gegenstand auf. Er war so heiß, daß ich ihn eine Weile von einer Hand in die andere werfen mußte. Es handelte sich um eine kleine runde Scheibe aus einem gelben Kristall. Sie war eigenartig geschliffen – auf einer Seite flach, auf der anderen nach innen gewölbt. Die Lederschnur war natürlich verbrannt, und offensichtlich war der Kristall in Kupfer gefaßt gewesen, denn Spuren davon hingen immer noch am Rand, obwohl das meiste geschmolzen war. Keiner der Wachposten oder der anderen Spanier, die geschäftig über den großen Platz eilten oder müßig dahinschlenderten, nahm Notiz davon, daß ich den gelben Talisman oder was immer es war, an mich nahm. Ich steckte ihn in meinen Mantel und machte mich auf die Suche nach meiner Mutter und meinem Onkel. Ich fand sie auf einer Brücke, die über einen der verbliebenen Kanäle in der Stadt führte. Meine Mutter mußte geweint haben – ihr Gesicht war noch naß von Tränen. Onkel Mixtzin hatte ihr tröstend den Arm um die Schulter gelegt. Er knurrte vor sich hin: »Diese anderen Kundschafter, die Gutes über die Herrschaft der Weißen berichten, können unmöglich etwas Derartiges gesehen haben. Wenn wir zurück sind, werde ich darauf bestehen, daß wir Azteca uns von diesen abscheulichen Barbaren fernhalten …« Er brach ab und fragte mich ungehalten: »Was hast du so lange gemacht, Neffe? Wir hätten sehr wohl beschließen können, uns ohne dich auf den Weg nach Hause zu machen.«
»Ich bin zurückgeblieben, um ein paar Worte mit diesem Spanier zu wechseln, der unsere Sprache versteht. Er hat gesagt, er habe den alten Juan Damasceno gemocht.«
»Das war nicht der richtige Name des Mannes«, erklärte mein Onkel barsch, und meine Mutter schluchzte leise. Ich sah sie
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