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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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neun und fünf Jahren handelte. Doch bevor einer von uns einzog, kam eine Schar Handwerker – Zimmerleute, Bildhauer, Maler und Weberinnen –, die jeden Raum mit Statuetten, Wandbildern, Wandteppichen und ähnlichem ausschmückten.
    Unterdessen säuberten andere Mexica die Gewässer in Aztlan und der Umgebung und leiteten sie um. Sie entfernten den alten Schlamm und die Abfälle aus den Kanälen, die schon immer die Insel wie ein Netz durchzogen, und faßten sie in Stein. Sie legten die Sümpfe um den See trocken, indem sie neue Kanäle gruben, die das Wasser abzogen. Dann wurde aus weiter landeinwärts fließenden Bächen frisches Wasser eingeleitet. Der See blieb brackig, da sich Süßwasser und Salzwasser mischten, doch er war kein stehendes Gewässer mehr. Die Sümpfe trockneten aus und wurden zu festem Land. Danach verringerten sich schlagartig die ungesunden Nachtnebel und die Wolken lästiger Insekten. Es war der Beweis dafür, daß unsere Ärzte recht gehabt hatten. Fortan quälten die Sumpfgeister jedes Jahr nur noch ein oder zwei Personen mit dem tückischen Fieber.
    Nachdem der Palast fertig war, machten sich die Steinmetze daran, einen Steintempel für Coyolxaúqui, die Schutzgöttin unserer Stadt, zu errichten, der den alten weit in den Schatten stellte. Er war so schön, daß Onkel Mixtzin brummte: »Ich wünschte, ich hätte den Stein mit dem Abbild der Göttin nicht nach Tenochtitlan gerollt, denn jetzt hätten wir für den Stein einen Tempel, der ihrer stillen Schönheit und Güte angemessen ist.«
    »Wie kannst du so etwas sagen?« erwiderte meine Mutter. »Hättest du das nicht getan, gäbe es keinen neuen Tempel und auch keine der anderen Wohltaten, die uns das Geschenk des Mondsteins für Motecuzóma eingebracht hat.«
    Mein Onkel brummte noch eine Weile vor sich hin, denn er mochte es nicht, wenn seine Meinung in Zweifel gezogen wurde, doch er mußte schließlich zugeben, daß seine Schwester recht hatte.
    Als nächstes errichteten die Baumeister eine Tlamanacáli auf eine Weise, die wir alle höchst sinnreich, praktisch und interessant zu beobachten fanden. Die Männer schichteten stufenförmig zurückspringende Steine aufeinander und bauten so die Hohlform einer Pyramide. Andere Arbeiter brachten gleichzeitig Traglasten von Erde, Steinen, Kieseln, Treibholz und allem möglichen Schutt und Abfall herbei, den man sich vorstellen konnte. Der Inhalt ihrer Körbe wurde in den Hohlraum geschüttet und festgestampft. Auf diese Weise wuchs eine vollkommen geformte Pyramide in die Höhe, die aus glänzendem Kalkstein zu bestehen schien. Mit Sicherheit war sie solide genug, um hoch oben die beiden kleinen, sie krönenden Tempel, dem Gott Huizilopochtli und dem Regengott Tlaloc geweiht, zu tragen und der Treppe an der Vorderseite festen Halt zu geben, auf der in den folgenden Jahren zahllose Priester, Gläubige, Würdenträger und Opfer hinaufsteigen sollten. Ich behaupte nicht, unsere Tlamanacáli sei so ehrfurchtgebietend gewesen wie die berühmte Große Pyramide von Tenochtitlan, die ich natürlich nie gesehen habe, aber bestimmt war sie das erhabenste Bauwerk nördlich der Länder Mexicas.
    Es folgten Steintempel für andere Götter und Göttinnen der Mexica – ich nehme an, für alle überirdischen Wesen, obwohl einige unbedeutendere Gottheiten sich zu dreien oder vieren einen Tempel teilen mußten. Unter den vielen, vielen Mexica, die mit meinem Onkel gekommen waren, befanden sich auch Priester all jener Götter. In den ersten Jahren halfen sie den Baumeistern, und sie arbeiteten ebenso schwer wie alle anderen. Nachdem sie jedoch alle ihre Tempel hatten, widmeten die Priester neben der Erfüllung der geistlichen Pflichten einen Teil ihrer Zeit dem Unterricht an unseren Schulen, die als nächstes gebaut worden waren. Danach wandten sich die Mexica weniger wichtigen Gebäuden zu – einem Getreidespeicher, Werkstätten, Lagerhäusern, einem Zeughaus und anderen für ein zivilisiertes Leben unerläßlichen Dingen. Schließlich brachten sie Holz aus den Wäldern der Berge und bauten feste Holzhäuser für sich sowie für jede Azteca-Familie, die es wünschte – das waren alle, bis auf ein paar Eigenbrötler, die das alte Leben vorzogen.
    Wenn ich sage ›die Mexica‹ taten dieses oder jenes, soll das nicht heißen, sie hätten es ohne Hilfe getan. Jede Gruppe Steinhauer, Steinmetze und Zimmerleute verpflichtete einen Trupp unserer Männer, die sie bei diesen Vorhaben unterstützten. Für leichtere

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