Der Sohn des Azteken
sanftmütig. Dein Namensgeber muß sich in seinem Tonálmatl-Buch der Namen geirrt haben. Erzähl mir etwas über diese Mexica. Wer hat sie hierher gebracht? Zu welchem Zweck?«
»Ich weiß nur, was ich gehört habe. Ein spanischer Christenpriester hat aus einem nur ihm bekannten Grund überall an den Ufern des Binsensees Siedlungen gegründet. Da es keine Purempecha-Männer mehr gab, mußte er Männer mit ihren Familien aus dem Land der Mexica herbringen. Ich habe gehört, der Priester verwöhnt die Siedler, als seien sie seine eigenen Kinder. Als ob sie seine kleinen Babys wären.«
»Familienväter«, murmelte ich. »Wahrscheinlich hast du recht, wenn du sagst, daß sie zu keiner Rebellion bereit sind. Vor allem dann nicht, wenn sie von ihrem Herrn gut behandelt werden. Aber wenn es so ist, wie du sagst, verhält sich dieser Priester sehr untypisch für einen Christen.«
Pakápeti zuckte die Schultern, und ich hatte mein Vergnügen, denn sie war nackt, und ihre entzückenden Brüste hoben und senkten sich bei dieser Bewegung einladend. Sie sagte keineswegs herzlich, sondern kühl: »Geh und sieh es dir an. Der See liegt nur drei Lange Läufe von hier entfernt.«
Der Binsensee hat die Farbe von Chalchihuitl, von Jade. Dieser Edelstein ist allen Völkern der EINEN WELT heilig. Die niedrigen, sanft gerundeten Berge, die den See umgeben, sind vom gleichen etwas dunkleren Grün. Als ich auf dem Gipfel eines dieser Berge stand und ins Tal blickte, wirkte der See wie ein strahlendes Juwel auf einem Moospolster. Im See liegt eine Insel. Sie heißt Xarákuaro und muß früher die schönste Facette dieses Juwels gewesen sein. Denn dort befanden sich Tempel und Altäre, die in allen Farben leuchteten und deren bunte und goldene Verzierungen in der Sonne glänzten. Doch Guzmáns Soldaten hatten alle Heiligtümer dem Erdboden gleichgemacht.
Auch die Dörfer und Städte um den See herum waren verschwunden, sogar Tzintzuntzani ›Wo es Kolibris gibt‹, gab es nicht mehr. Es war die Hauptstadt von Michihuácan gewesen und hatte nur aus Palästen bestanden. Der schönste Palast war der Sitz von Tzimtzicha, dem letzten Verehrten Sprecher der besiegten Purémpecha, gewesen. Von dem Gipfel, auf dem ich stand, sah ich nur ein Wahrzeichen, das aus der alten Zeit übriggeblieben war: die Pyramide im Osten des Sees. Sie war bemerkenswert wegen ihrer Größe und Form. Sie schien nicht sehr hoch, sondern eher lang zu sein, und hatte auf ihrer Plattform sowohl runde als auch rechteckige Aufbauten. Ich wußte, diese lyákata, wie eine Pyramide auf Pore heißt, stammte noch aus der alten Zeit. Ein Volk, das lange vor den Purémpecha hier lebte, hatte sie errichtet. Selbst zu Tzimtzichas Zeit war sie bereits eine von Pflanzen überwucherte Ruine gewesen, doch sie wirkte noch immer erhaben und ehrfurchteinflößend.
Entlang dem Seeufer entdeckte ich einzelne Dörfer. Aber sie schienen in keiner Hinsicht etwas Besonderes zu sein, denn man hatte die Häuser alle niedrig und flach im spanischen Stil aus getrockneten Lehmziegeln erbaut. Im Dorf am Fuß des Berges, auf dem ich stand, sah ich Menschen. Sie trugen die Kleidung der Mexica und hatten meine Hautfarbe. Ich bemerkte keine Spanier unter ihnen. Deshalb stieg ich neugierig hinab und grüßte den ersten Mann, dem ich begegnete. Er saß auf einer Bank neben der Tür seines Hauses und schnitzte mit großer Hingabe an einem Stück Holz. Ich sagte den üblichen Nahuatl-Gruß: »Mixpantzinco«, was soviel bedeutet wie ›Ich erfreue mich Eurer erlauchten Gegenwart … ‹
Er erwiderte nicht auf poré, sondern ebenfalls in Náhuatl, das gewohnte höfliche »Ximopanólti«, was soviel heißt wie »Nach Eurem Belieben …« Dann fügte er freundlich hinzu: »Es kommen nicht viele Mexica hierher, um unser Utopía zu besuchen.« Ich wollte ihn nicht verwirren, indem ich ihm verriet, daß ich eigentlich ein Aztécatl war. Ich erkundigte mich auch nicht nach der Bedeutung des seltsamen Wortes, das er gerade verwendet hatte. Ich sagte nur: »Ich bin fremd in der Gegend und habe erst vor kurzem erfahren, daß in der Nähe Mexica leben. Es ist schön, wieder meine Muttersprache zu hören. Ich heiße Tenamáxtli.«
»Mixpantzínco, Cuati Tenamáxtli«, erwiderte er höflich. »Man nennt mich Erasmo Mártir.«
»Nach dem christlichen Heiligen?« Als er nickte, sagte ich: »Ich habe ebenfalls einen christlichen Namen: Juan Británico.«
»Wenn du Christ bist und eine Beschäftigung suchst, wird dir
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