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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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unser guter Pater Vasco vielleicht einen Platz bei uns geben. Hast du eine Frau und Kinder?«
    »Nein, Cuati Erasmo. Ich bin ein einsamer Wanderer.«
    »Wie schade.« Er schüttelte mitfühlend den Kopf. »Pater Vasco nimmt nur Siedler mit Familie auf. Doch wenn du eine Weile bleiben willst, wird er dir gastfreundlich eine Unterkunft anbieten. Du findest ihn in Santa Cruz Pátzcuaro, das ist das nächste Dorf westwärts am See.«
    »Dann gehe ich dorthin und werde dich nicht länger von der Arbeit abhalten.«
    »Ayyo, du störst mich nicht. Der Pater verlangt nicht, daß wir pausenlos wie Sklaven arbeiten, und es ist interessant, sich mit einem neu angekommenen Mexicatl zu unterhalten.«
    »Was machst du da?«
    »Das wird eine Mecahuéhuetl«, erwiderte er und wies auf ein paar beinahe fertige Teile hinter der Bank. Es waren Holzstücke etwa von der Größe und den anmutig geschwungenen Formen eines Frauenkörpers. Ich nickte, denn ich begriff, was die zusammengesetzten Teile ergeben würden. »Eine guitarra, wie die Spanier sagen.«
    Die meisten der von den Spaniern mitgebrachten Musikinstrumente glichen im Grunde denen, die bereits in der EINEN WELT bekannt waren. Das heißt, sie brachten Musik hervor, indem sie entweder geblasen, geschüttelt, mit Stöcken geschlagen oder mit einem gekerbten Stock gestrichen wurden. Doch manche spanischen Instrumente unterschieden sich von unseren, zum Beispiel die Gitarre, die Violine, die Harfe und die Mandoline. Es erfüllte uns alle mit großem Staunen und mit Bewunderung, daß solche Instrumente wohlklingende Musik hervorbrachten, indem man straff gespannte Saiten mit den Fingern zupfte oder mit einem Bogen strich. »Aber wieso«, fragte ich Erasmo, »kopierst du ein neues fremdes Instrument? Die Weißen haben doch bestimmt eigene Leute, die Gitarren herstellen.«
    »Keine so geschickten, wie wir es sind«, erwiderte er stolz. »Der Pater und seine Helfer haben uns gezeigt, wie man die Instrumente baut. Er sagt, unsere Mecahuéhuetlin sind selbst jenen überlegen, die aus Altspanien gebracht werden.«
    »Wir?« wiederholte ich. »Du bist nicht der einzige?«
    »O nein! Jeder Mann hier in San Marcos Churintzio übt dieses Handwerk aus. Es ist die besondere Aufgabe, die unserem Dorf übertragen wurde, so wie andere Dörfer in Utopía Lackarbeiten oder Kupferwaren oder was auch immer herstellen.«
    »Wieso das?« Ich hatte noch nie von einer Gemeinschaft gehört, die sich nur einer Aufgabe widmete. »Geh und rede mit Pater Vasco«, sagte Erasmo. »Er wird dir mit Freuden alles darüber erzählen, wie er unser Utopía ins Leben gerufen hat.«
    »Das werde ich tun. Danke, Cuati Erasmo. Mixpantzínco.«
    Anstatt zu sagen ›Ximopanolti‹, verabschiedete er mich mit »Vaya con Dios« und fügte fröhlich hinzu: »Komm wieder, Cuati Juan. Ich habe vor, irgendwann zu lernen, wie man mit diesen Instrumenten Musik macht.«
    Ich schlug den Weg nach Westen ein, machte jedoch in einer unbewohnten Gegend halt und ging ins Gebüsch, um meinen Mantel und das Schamtuch mit dem Hemd, der Hose und den Stiefeln aus meinem Bündel zu tauschen. So erreichte ich Santa Cruz Pátzcuaro in spanischer Kleidung. Auf meine Frage nach Pater Vasco schickte man mich zu der kleinen Kirche aus Lehmziegeln und der daran angebauten Casa de cura. Der Pater persönlich öffnete die Tür. Er war in keiner Hinsicht so zurückhaltend und unzugänglich wie die meisten christlichen Priester. Er trug auch kein schwarzes Gewand, sondern ein fleckiges Arbeitshemd und eine ebenso fleckige Hose aus schwerem, derbem Stoff.
    Ich nahm mir die Freiheit, mich auf spanisch als Juan Británico, Laienhelfer von Fray Alonso de Molina, Notarius der Kathedrale des Bischofs Zumárraga, vorzustellen. Ich erklärte, ich sei auf Geheiß meines Herrn Alonso im Begriff, kirchliche Missionsstationen in den wenig erschlossenen Gebieten zu besuchen, um ihre Fortschritte zu beurteilen und Bericht darüber zu erstatten.
    »Ich glaube, du wirst Gutes über uns berichten, mein Sohn.« sagte der Pater. »Es freut mich zu hören, daß sich Alonso immer noch unverdrossen in den Weinbergen der Mutter Kirche abrackert. Der junge Mann ist mir in sehr guter Erinnerung.« Der freundliche Priester nahm mich herzlich auf und schien meinen Schwindel nicht zu durchschauen. Ich stellte fest, daß er tatsächlich ein guter Priester war. Pater Vasco de Quiroga war ein großer, schmaler und streng wirkender, in Wirklichkeit jedoch fröhlicher Mensch. Er war alt

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