Der Sohn des Azteken
genug, um so kahlköpfig zu sein, daß er keine Tonsur mehr brauchte. Aber er war immer noch kräftig, was seine Arbeitskleidung bewies, für die er sich bescheiden entschuldigte.
»Ich sollte eine ordentliche Soutane tragen, um einen Boten des Bischofs zu begrüßen. Aber ich helfe meinen Brüdern gerade, hinter dem Haus einen Schweinestall zu bauen.«
»Laßt Euch durch mich nicht abhalten …«
»Nein, nein, nein. Por cielo, ich freue mich über eine Pause. Setz dich, mein Sohn Juan. Ich sehe, du bist staubig von der Straße.« Er rief jemandem in einem anderen Raum zu, uns Wein zu bringen. »Setz dich, setz dich, mein Sohn. Und erzähl mir. Hast du schon viel von dem gesehen, was wir mit Hilfe des HERRN hier in der Gegend erreicht haben?«
»Nur wenig. Ich habe mich eine Weile mit Erasmo Mártir unterhalten.«
»Ach ja. Er ist vielleicht der geschickteste unserer Gitarrenbauer. Und er ist inzwischen ein gottesfürchtiger Christ geworden. Sag mir, Juan Británico, da du nach einem englischen Heiligen benannt bist, hast du vielleicht schon einmal etwas von dem frommen Don Tomás Moro gehört, der ebenfalls aus England stammte?«
»Nein, Pater. Aber – verzeiht – man hat mir zu verstehen gegeben, daß die Menschen in England Weiße sind.«
»Das sind sie!« Er nickte mit leuchtenden Augen. »Moro oder genauer gesagt Morus war sein Name. Das hat nichts mit seiner Rasse oder seiner Hautfarbe zu tun.« Der Pater seufzte. »Morus wurde erst vor kurzem ungerechtfertigt und auf schändliche Weise getötet. Der König von England, der ein verachtenswerter Ketzer ist, hat ihn hinrichten lassen. Christliche Frömmigkeit war sein einziges Verbrechen. Wenn du Don Tomás nicht kennst, dann weißt du vermutlich auch nichts von seinem berühmten Buch De optimo Republicae statu …«
» Nein, Pater.«
»Oder von Utopía, das er in diesem Buch entworfen hat?«
»Nein, Pater. Ich habe nur gehört, daß Erasmo dieses Wort verwendet hat.«
»Wir versuchen, hier an den Ufern dieses paradiesischen Sees Utopía zu schaffen. Ich wünschte nur, ich hätte schon vor vielen Jahren damit anfangen können. Aber ich bin noch nicht so lange Priester.« Ein junger Mönch kam herein und brachte zwei kunstvoll geschnitzte und lackierte Holzbecher, eindeutig das Werk eines Purémpecha. Er reichte sie uns, zog sich schweigend zurück, und ich trank dankbar von dem kühlen Wein.
»Die meiste Zeit meines Lebens«, fuhr der Pater fort, und es klang reumütig, »war ich ein Richter, ein Jurist. Das eine will ich dir sagen, junger Juan, jede Form der Juristerei ist korrupt und ein Greuel. Gott sei Dank begriff ich schließlich, wie sehr ich mich und meine Seele beschmutzte. Danach habe ich die Richterrobe nie mehr angezogen. Ich legte die heiligen Gelübde ab und wurde schließlich geweiht, so daß ich jetzt statt der Robe die Soutane trage.« Er lachte. »Natürlich haben mir viele meiner früheren Gegner am Gericht mit Freuden das alte Sprichwort vorgehalten: ›Hartóse el gato de carne, y luego se hijo fraile.‹«
Es dauerte einen Augenblick, bis ich mir das in Gedanken übersetzt hatte. ›Die Katze hat sich den Bauch mit Fleisch gefüllt, bevor sie zum Mönch wurde.‹ Er fuhr fort: »Das Utopía, das sich Thomas Morus vorstellt, ist eine ideale Gemeinschaft, deren Bewohner unter idealen Bedingungen leben. Die Übel, welche die Gesellschaft hervorbringt – Armut, Hunger, Elend, Verbrechen, Sünde und Krieg –, sind dort alle überwunden.« Ich unterließ es, ihn darauf hinzuweisen, daß es selbst in einer idealen Gemeinschaft Menschen geben würde, die möglicherweise auf das Recht, zu sündigen oder Krieg zu führen, nicht verzichten wollten. »Deshalb habe ich dieses schöne Stück von Neugalicien mit Siedlerfamilien bevölkert. Neben der Unterweisung in den christlichen Geboten bringen ich und meine Brüder ihnen die Benutzung europäischer Werkzeuge bei. Sie lernen von uns die neuesten Methoden in Ackerbau und Viehzucht. Darüber hinaus wollen wir jedoch nicht in das Leben der Siedler eingreifen oder uns einmischen. Nun ja, Bruder Augustin hat ihnen gezeigt, wie man Gitarren baut. Aber wir möchten ihnen nicht nur das Neue bringen. Wir haben alte Männer der Purémpe gefunden, die sich überreden ließen, die alten Streitigkeiten mit den Mexica zu vergessen. Sie unterweisen die Siedler in den uralten handwerklichen Fertigkeiten und Gewerben. Jetzt widmet sich jedes Dorf einem Handwerk in der besten Tradition der Purémpecha
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